Tierversuche für kosmetische Produkte sind bereits seit 1998 in Deutschland und seit 2004 in der EU verboten. Die Firmen konnten dieses Verbot umgehen, indem sie ihre Tests in andere Länder verlagerten. Um die Industrie zu einer Politik ohne Tierversuche zu zwingen, ist seit März 2013 auch die Einfuhr von an Tieren getesteten Kosmetik-Rohstoffen in die EU verboten. Es gibt jedoch weiterhin Schlupflöcher.

Vermarktungsverbot für Kosmetika, die an Tieren getestet wurden

„Großer Erfolg für den Tierschutz: Ab heute tritt Aus für Tierversuche für Kosmetik in Kraft.“ Mit diesen Worten bejubelte der Deutsche Tierschutzbund e. V. am 11. März 2013 das Verbot der Vermarktung von an Tieren getesteten Kosmetika in der EU. Nun sei nach über 30 Jahren zähen Ringens auch die letzte Stufe des hart erkämpften Tierversuchsverbots Wirklichkeit geworden. „Ein großer Sieg für alle Tierfreunde.“i

Der lange Weg zum Vermarktungsverbot

Löst eine Hautcreme Allergien aus? Schadet ein Shampoo der Kopfhaut? Fragen wie diese wurden lange Zeit vor allem mit Tierversuchen geklärt. Allerdings kamen in der Bevölkerung und bei dem Gesetzgeber schon früh Zweifel auf, ob es wirklich vertretbar ist, dass Tiere für Produkte leiden müssen, die der Körperpflege dienen. Bei einem Verbot von Tierversuchen, dessen war man sich bewusst, würde die Forschungsfreiheit eingeschränkt. Eine solche Einschränkung schien am ehesten bei den Kosmetika zumutbar zu sein, denn diese tragen zwar zum Wohlbefinden des Menschen bei, entscheiden aber nicht wie Arzneimittel über Leben und Tod.

1990 gründeten führende Tierschutzorganisationen die „Europäische Koalition zur Beendigung von Tierversuchen für Kosmetik“ (heute: Europäische Koalition zur Beendigung von Tierversuchen / The European Coalition to End Animal Experiments“, ECEAE) mit dem Ziel, Tierversuche für Kosmetika in der EU abzuschaffen. Die Kampagnen der Tierschützerinnen und -schützer führten schon bald zu Erfolgen: 1986 wurden im deutschen Tierschutzgesetz Tierversuche zur Entwicklung von dekorativen Kosmetika wie Lippenstiften oder Nagellack verboten. Wegen der unklaren Definition des Begriffs „dekorative Kosmetika“ wurde 1998 das Verbot auf pflegende Kosmetika wie Duschgels oder Hautcremes erweitert. Auch auf europäischer Ebene blieb der Gesetzgeber nicht untätig: 2004 verbot die EU Tierversuche für das fertige kosmetische Produkt, 2009 folgte ein detaillierteres Verbot für Tierversuche an einzelnen kosmetischen Bestandteilen oder Kombinationen von Bestandteilen. Kosmetika, deren Bestandteile nach diesem Zeitpunkt im Tierversuch getestet worden sind, durften nicht mehr verkauft werden. Um zu verhindern, dass Unternehmen einfach die Tierversuche außerhalb der EU durchführen ließen, wurde das EU-weite Vermarktungsverbot auch auf fertige kosmetische Produkte und kosmetische Inhaltsstoffe bezogen, die außerhalb der EU in Tierversuchen geprüft worden waren. Bei den kosmetischen Inhaltsstoffen wurden jedoch Ausnahmen gemacht, da nach Einschätzung der Europäischen Kommission aus dem Jahre 2011 die Entwicklung von erforderlichen Alternativen zu Tierversuchen noch Jahre dauern könne. Dies galt insbesondere für die Prüfung, ob ein Stoff Allergien oder Krebs auslösen kann oder die Fortpflanzungsfähigkeit beeinträchtigt. Deshalb wurden diese drei Sicherheitsaspekte, sogenannte Endpunkte, vom Verbot ausgenommen, sofern der Tierversuch außerhalb der EU durchgeführt wurde. Im März 2013 wurde auch dieses Schlupfloch gestopft. Damit muss auch jedes internationale Unternehmen, das seine Körperpflegeprodukte in der EU vermarkten möchte, auf Tierversuchen sowohl für die Fertigprodukte als auch für die Inhaltsstoffe verzichten.ii

Einschränkung oder Förderung der Forschung?

Aus der Forschung gibt es an dem ausnahmslosen Verbot Kritik. Bemängelt wird unter anderem, dass alle an Tieren getestete Kosmetika oder deren Inhaltsstoffe von dem Verbot betroffen sind – egal, ob es valide Alternativmethoden gibt. Das könne dazu führen, dass Stoffe eingesetzt werden, deren Unbedenklichkeit nicht erwiesen ist, oder dass neue Substanzen gar nicht erst verwendet werden. In den EU-Staaten, auch in Deutschland, finde ein Humanexperiment im großen Stil statt; und niemandem werde es auffallen, wenn etwa die Krebs- oder Allergiezahlen durch mangelhaft geprüfte Produkte steigen.iii Seitens der Kosmetikindustrie wird angeführt, dass das ausnahmslose Verbot die Innovationskraft der Kosmetik-Industrie hemmen könnte. Die Kosmetik-Industrie in der EU laufe dadurch Gefahr, gegenüber anderen Märkten schlechter gestellt zu werden.iv

Aus der Einschränkung der Forschungsfreiheit kann allerdings auch ein Zuwachs an Forschung erwachsen – nur eben an anderer Stelle. Gegenwärtig müssen tierversuchsfreie Alternativmethoden, die offiziell anerkannt werden sollen, zunächst einen aufwändigen Prozess durchlaufen, bei dem die Allgemeingültigkeit geprüft wird. Der Prozess, die sogenannte Validierung dauert in der Regel mehr als zehn Jahre und muss in vergleichenden Experimenten in verschiedenen Laboratorien („Ringstudien“) nachweisen, dass die Alternativmethode die gleiche Aussagekraft hat wie In-vivo-Studien (lateinisch: „im Lebenden“). Die Beweise werden dem wissenschaftlichen Komitee des „European Union Reference Laboratory for alternatives to animal testing“ (EURL ECVAM) zur Begutachtung vorgelegt. Nach Anerkennung der wissenschaftlichen Validität der Methode durch EURL ECVAM kann die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Organisation for Economic Co-operation and Development = OECD) das Ergebnis offiziell als alternative Testmethode anerkennen und in eine OECD-Richtlinie umwandeln.v

Bei diesem langwierigen Prozess wird die tierversuchsfreie Alternativmethode also bisher danach bewertet, wie nahe ihre Ergebnisse denen von Tierversuchen kommen – und zwar unabhängig davon, ob diese Fehler aufweisen. Hinzu kommt, dass in die Forschung zu Alternativmethoden vergleichsweise wenig Forschungsgeld fließt. Das Verbot von 2013 lässt die Tierversuchsgegnerinnen und -gegner hoffen, dass die Tierversuche bei der Validierung und offiziellen Anerkennung der Alternativmethoden in Zukunft nicht mehr den „Goldstandard“ darstellen und die tierversuchsfreie Forschung finanziell besser ausgestattet wird.

Kein endgültiger Schlussstrich unter Tierversuchen für Kosmetika

Mit dem EU-weiten Verbot von Tierversuchen für Kosmetika ist jedoch noch kein endgültiger Schlussstrich gezogen. Will ein Unternehmen seine Kosmetikprodukte in bestimmten Nicht-EU-Staaten vertreiben, kann es auf Tierversuche nicht verzichten. So verlangen beispielsweise die kosmetikrechtlichen Bestimmungen der Volksrepublik China, dass importierte Kosmetika auf ihre Unbedenklichkeit hin geprüft werden. Dafür werden regelmäßig Tierversuche angewendet. Das bedeutet für die Unternehmen, dass sie sich entscheiden müssen, ob sie auf die Registrierung und Vermarktung ihrer Produkte in der Volksrepublik China verzichten, oder ob sie dafür Tierversuche in Kauf nehmen wollen. Hersteller von Naturkosmetika, die ihre Zertifizierung nicht aufs Spiel setzen wollen, müssen sich gegen den Absatzmarkt in der Volksrepublik China entscheiden.vi

Auch in der EU sind Tierversuche für Kosmetika nicht endgültig tabu. Viele Inhaltsstoffe für Kosmetika werden nämlich auch für andere Produkte verwendet, insbesondere für Haushaltsprodukte oder Medikamente. Für die Zulassung von Haushaltsprodukten und Medikamenten sind Tierversuche weiterhin zwingend vorgeschrieben, wobei auch grausame Versuchsverfahren zur Anwendung kommen. Das bekannteste Beispiel dafür ist Botox, ein Mittel zur Glättung von Falten. Botox-Produkte werden injiziert und nicht auf die Haut aufgetragen. Daher handelt es sich nicht um ein kosmetisches, sondern um ein medizinisches Produkt, womit das Tierversuchsverbot für Kosmetika nicht greift. Bei der Zulassung von Botox wenden der britische Hersteller Ipsen und die japanische Firma Eisai den LD50-Giftigkeitstest an. Anders als bei anderen Substanzen wird der Faltenglätter nicht nur einmal getestet, sondern jede Produktionseinheit erneut geprüft. Je mehr Botox verkauft wird, desto mehr Tiere müssen sterben. Die Firma Allergan hat sich vom LD50-Giftigkeitstext verabschiedet und hat seit 2011 eine behördliche Zulassung für eine selbst entwickelte, tierversuchsfreie Zellkulturmethode für ihre Produkte Botox®, Botox-Cosmetics® und Vistabel®. 2015 zog der Frankfurter Hersteller Merz nach.vii

i http://www.tierschutzbund.de/news-storage/tierversuche/110313-ende-tierversuche-kosmetik.html (26.08.2016, inzwischen entfernt).

ii Zu 1986 siehe § 7 Abs. 5 TierSchG (BGBl. I S. 1322), zu 1998 § 7 Abs. 5 TierSchG (BGBl I S. 1109), zu 2004 die Richtlinie 2003/15/EG, zu 2009 die EU-Kosmetikverordnung 1223/2009 und zu 2011 den „Bericht über die Entwicklung, Validierung und rechtliche Anerkennung von Alternativmethoden für Tierversuche im Bereich kosmetischer Mittel“ (http://eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=COM:2011:0558:FIN:DE:PDF, 19.05.2017). Im März 2013 wurde die EU-Kosmetikverordnung 1223/2009 endgültig umgesetzt. Das Vermarktungsverbot in der EU gilt gemäß einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes (Az. C-592/14) auch dann, wenn Tierversuche durchgeführt worden sind, weil ein Land außerhalb der EU, beispielsweise China oder Japan, diese vorschreibt.

iii Vgl. http://www.spiegel.de/wissenschaft/medizin/kosmetik-ohne-tierversuche-in-der-eu-a-888498.html (19.05.2017).

iv http://www.ikw.org/schoenheitspflege/themen/fragen-antworten/tierversuche-und-alternativmethoden/# (19.05.2017).

v Vgl. die Position des Unternehmens Henkel zu Tierversuchen (http://www.henkel.de/blob/47158/055f9e0a101828cc46ad03fc8d8ac55e/data/henkel-position-alternativen-zu-tierversuchen.pdf; 19.05.2017). Um die notwendige Qualität der Verwendung der Testmethode sicherzustellen, muss ein Prüflabor, das diese anwenden will, seine technische und fachliche Kompetenz nachweisen. Die Begutachtung, Bestätigung und Überwachung der fachlichen Kompetenz erfolgt in den einzelnen Mitgliedsländern der EU durch eine unabhängige Einrichtung. In Deutschland ist dafür die Deutsche Akkreditierungsstelle GmbH zuständig.

vi In Deutschland ist das Zertifikat des Bundesverbands deutscher Industrie- und Handelsunternehmens für Arzneimittel, Reformwaren, Nahrungsergänzungsmittel und Körperpflegemittel e.V. (=BDIH) das am weitesten verbreitete Siegel zur Kennzeichnung echter Naturkosmetik. Die Einhaltung der Bestimmungen wird von der IONC GmbH überprüft. In einer Pressemitteilung der IONC GmbH vom 13.12.2013 (http://www.bdih.de/download/2013_12_Hinweise_Tierversuche_China.pdf, 19.05.2017, inzwischen entfernt) wurde auf die Problematik von Tierversuchen in China und auf die Konsequenzen für die Zertifizierung nach BDIH-Standard hingewiesen.

vii Vgl. Ärzte gegen Tierversuche e. V.: Botox: Tierqual für eine fragwürdige Schönheit, 2015 und eine Pressemeldung des Deutschen Tierschutzbundes e. V. vom 19.07.2016 (http://www.tierschutzbund.de/news-storage/tierversuche/190716-protest-gegen-tierversuche-fuer-botox.html, 19.05.2017, inzwischen entfernt).