Es gibt nicht die geschlechtergerechte Sprache

Wenn wir uns mit geschlechtergerechter Sprache befassen, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es nicht die geschlechtergerechte Sprache schlechthin gibt. Vielmehr gibt es viele verschiedene Formen geschlechtergerechter Sprache. Dabei haben sich die verschiedenen Formen in den letzten Jahrzehnten nach und nach entwickelt. Der Wandel der (geschlechtergerechten) Sprache fand seinen Antrieb in der Tatsache, dass sowohl das generische Maskulinum als auch die verschiedenen Formen der geschlechtergerechten Sprache ihre je eigenen Vor- und Nachteile haben.

Lange Zeit war das generische Maskulinum üblich. Mit dem Aufkommen des Feminismus wurde zunehmend kritisiert, dass es Frauen unsichtbar macht. Es kamen verschiedene Schreibweisen auf, die Frauen sichtbar machen: Schrägstrich, Klammer, Binnen-I und die getrennte Nennung der männlichen und weiblichen Form von Personengruppen. Andere geschlechtliche Identitäten als Mann und Frau blieben jedoch außen vor. Daher wurden die Genderzeichen Sternchen, statischer Unterstrich und Doppelpunkt eingeführt. Diese geben der Vielfalt geschlechtlicher Identitäten Ausdruck. Ihre Verwendung ist jedoch unter sprachlichen Gesichtspunkten problematisch. Als Alternative kommen geschlechtsneutrale Formulierungen infrage, die jedoch die Gefahr einer abstrakten und leblosen Sprache bergen.

Es gibt eine Vielfalt an biologischen Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten

Wenn wir über „geschlechtergerechte Sprache“ reden, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es verschiedene Arten des Geschlechts gibt. Es ist zwischen dem biologischen, dem grammatischen, dem semantischen und dem sozialen Geschlecht zu unterscheiden.

Das biologische Geschlecht des Menschen wird anhand der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale bestimmt. Dabei lassen sich – entgegen verbreiteter Annahme – nicht alle Menschen eindeutig als Mann oder Frau bestimmen. Darüber hinaus spielt auch die Geschlechtsidentität für das Selbstverständnis des Menschen eine große Rolle. Die Geschlechtsidentität besagt, ob sich ein Mensch als Mann oder als Frau versteht oder der heterogenen Gruppe der Diversen zuordnet. Die Vielfalt der biologischen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten spricht zunächst dafür, die Vielfalt auch in der Sprache sichtbar werden zu lassen.

Das biologische und das grammatische Geschlecht sind voneinander zu unterscheiden

Von dem biologischen Geschlecht ist das grammatische Geschlecht der Substantive zu unterscheiden. Das grammatische Geschlecht sagt nichts über die Männlichkeit oder Weiblichkeit eines Substantivs aus. Auch bei Personen und Tieren stimmt nicht unbedingt das grammatische Geschlecht mit dem biologischen überein. Insofern spiegelt grammatische Geschlechtlichkeit nicht unbedingt die biologische Geschlechtswirklichkeit wieder. Und die biologische Geschlechtswirklichkeit muss sich nicht unbedingt in der grammatischen Geschlechtlichkeit widerspiegeln. Welche Geschlechtsvorstellung uns bei der Nennung einer Person in den Kopf kommt, hängt nicht in erster Linie vom grammatischen Geschlecht ab, sondern vom semantischen. Dieses richtet sich nach dem biologischen Geschlecht.

Wenn in einem Text eine Person genannt wird, dann hängt die geschlechtliche Vorstellung von der Person auch von dem Zusammenhang ab, in dem sie erwähnt wird. Das biologische Geschlecht wird mit gesellschaftlichen Erwartungen, Konventionen und Rollenzuschreibungen verbunden, die das soziale Geschlecht ausmachen. Anhand des sozialen Geschlechtes deuten wir den Zusammenhang, in dem eine Person genannt wird. Gesellschaftliche Wandlungen bringen Veränderungen hinsichtlich der Deutung des Zusammenhangs mit sich. Damit kann sich auch die Vorstellung ändern, die wir von dem Geschlecht einer genannten Person haben, unabhängig vom grammatischen Geschlecht.

Die Vielfalt an biologischen Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten muss sich nicht in der Sprache widerspiegeln

Diese sprachlichen Aspekte sprechen gegen die Annahme, dass die Sprache die Vielfalt an biologischen Geschlechtern und Geschlechtsidentitäten widerspiegeln müsse. Wichtiger ist, dass der Inhalt von Texten eine Vielfalt von Lebenswirklichkeiten wiedergibt.

Grundsätzlich stellt sich die Frage, welcher Einfluss der Minderheit „diverser“ Menschen auf die Sprache zugestanden werden soll. Ihr tatsächlicher Anteil an der Gesamtbevölkerung lässt sich nur schwer bestimmen. Auch wenn er möglicherweise größer ist, als die statistischen Werte zu erkennen geben, dürfte er nur einen geringen Prozentsatz der Gesamtbevölkerung ausmachen.

Geschlechtergerechte Sprache“ ist nur eingeschränkt geschlechtergerecht

Gemeinhin wird zwischen „geschlechtergerechter“ und „nicht geschlechtergerechter“ Sprache unterschieden. Das generische Maskulinum wird dabei als „nicht geschlechtergerecht“ angesehen. Inwiefern Schrägstrich, Klammer, Binnen-I, getrennte Nennung der männlichen und weiblichen Form von Personengruppen sowie Genderzeichen und geschlechtsneutrale Formulierungen „geschlechtergerecht“ sind, darüber wird gestritten. Gewöhnlich gelten Texte gelten als „gerecht“, wenn alle Geschlechter sichtbar oder wenn alle Geschlechter unsichtbar sind. Aber inwiefern „diverse“ Menschen berücksichtigt werden müssen, darüber herrscht Uneinigkeit.

Uneingeschränkte Geschlechtergerechtigkeit muss alle Geschlechter gleich berücksichtigen oder nicht berücksichtigen. Das gilt nicht nur im Nominativ, sondern auch in den anderen Fällen. Außerdem gilt das im Singular ebenso wie im Plural und auch in Verbindung mit einem Pronomen. Und schließlich sollte nicht nur das geschriebene Wort geschlechtergerecht sein, sondern auch das gesprochene und gehörte.

Es werden zahlreiche Strategien des Formulierens als „geschlechtergerecht“ bezeichnet. Bei genauerem Hinsehen entpuppt sich aber nur eine einzige Strategie als uneingeschränkt geschlechtergerecht, nämlich die geschlechtsneutrale Sprache. Die anderen Strategien „geschlechtergerechten“ Formulierens sind allesamt nur eingeschränkt geschlechtergerecht. Angesichts dieses Befundes sollte nicht von „geschlechtergerechter Sprache“ gesprochen werden, sondern von „geschlechtsbetonter Sprache“ (= Sprache, die alle Geschlechter sichtbar macht) und „geschlechtsneutraler Sprache“ (= Sprache, die alle Geschlechter unsichtbar macht).

Geschlechtsneutrale Sprache ist leichter grammatisch korrekt zu handhaben als geschlechtsbetonte

Geschlechtergerechtigkeit ist nicht das einzige sprachliche Kriterium, das beim Formulieren zu beachten ist. Besonders große Bedeutung kommt der sprachlichen Korrektheit zu.

Geschlechtsneutrale Sprache ist leichter grammatisch korrekt zu handhaben als geschlechtsbetonte. Allerdings besteht die Gefahr der falschen Verwendung des Partizip Präsens. Geschlechtsneutrale Sprache tendiert jedoch dazu, abstrakt und leblos zu sein. Lebendigkeit kommt durch das Handeln von Personen, nicht durch Sachbezeichnungen, Oberbegriffe oder Adjektive. Geschlechtsbetonte Sprache ist nicht leicht zu handhaben. Schwierig wird es insbesondere, wenn ein Maskulinum im Wort steckt oder ein Wort sogar zwei Maskulina enthält.

Geschlechtsbetonte Sprache erschwert das Verständnis von Texten und ist nicht barrierefrei

Sprache sollte nicht nur geschlechtergerecht und grammatisch korrekt sein, sondern auch leicht verständlich und barrierefrei. Insbesondere die geschlechtsbetonte Sprache erschwert das Verständnis von Texten, weil sie sämtliche Aussagen mit einer zusätzlichen, häufig unnötigen Aussage zur Vielfalt der Geschlechter versieht. Ebenfalls gilt es stets, Genderzeichen mitten im Wort zu deuten, wobei einheitliche Handhabung zu einem Gewöhnungseffekt führen dürfte. Dieser Gewöhnungseffekt erleichtert das Verständnis des generischen Maskulinums, das ebenfalls nicht ganz leicht zu verstehen ist, weil es im Sinne einer rein maskulinen Person oder Personengruppe missverstanden werden kann.

Die geschlechtsbetonte Sprache ist auch nicht barrierefrei. Sie führt nämlich bei der Verwendung von Vorleseprogrammen zu Schwierigkeiten. Auch sind Genderzeichen in der Blindenschrift Braille hinderlich. Und schließlich ist es auch nicht einfach, Genderzeichen beim Sprechen zu verdeutlichen. Weil sie in verschiedenen grammatischen Konstruktionen auftauchen können, erfordern sie beim Sprechen ein hohes Maß an Konzentration, das insbesondere sprachlich ungeübte Menschen überfordert. Selbst wenn die Verdeutlichung gelingt, ist sie schwer zu verstehen, insbesondere für Menschen mit Hörbeeinträchtigungen.

Weiblichere Sprache durch Kongruenz

Der Begriff „Kongruenz“ bezeichnet die grammatische Übereinstimmung in und zwischen Satzteilen in Kasus, Numerus und Genus sowie bei Pronomen auch hinsichtlich der Person. Die Kongruenz ist zwar eher ein Randaspekt der geschlechtergerechten Sprache, ist allerdings ein recht einfacher und unauffälliger Weg, die Sprache weiblicher zu machen.

Das Prinzip der Kongruenz kann bei Beruf, Titel und Anrede ebenso angewendet werden wie bei geschlechtsneutralen Personenbezeichnungen. Kongruenz bei Sach- und Kollektivbezeichnungen ist ebenfalls möglich, wobei es sich dann nicht um semantische Kongruenz, sondern um Genuskongruenz handelt. Genuskongruenz ist allerdings unüblich und findet sich nicht in Redewendungen.

Generisches Maskulinum richtig und sparsam verwenden

Die Formen des generischen Maskulinums lassen an männliche Personen(gruppen) denken. Tatsächlich sind aber alle Geschlechter gleichermaßen gemeint. Insofern ist das generische Maskulinum eingeschränkt geschlechtergerecht. Da Sprache Geschlechtervielfalt nicht widerspiegeln muss, gibt es keinen Grund, das generische Maskulinum gänzlich aufzugeben. Es muss jedoch richtig verwendet werden. Wenn eindeutig von einer weiblichen Person oder von einer nur aus weiblichen Personen bestehenden Gruppe die Rede ist, muss eine weibliche Form verwendet werden.

Darüber hinaus sollte das generische Maskulinum sparsam verwendet werden. Damit ein Text nicht allzu männlich geprägt erscheint, sollte verschiedentlich auf geschlechtsneutrale Sprache zurückgegriffen werden. Insbesondere in Sachtexten, die keine besondere Lebendigkeit erfordern, ist das ohne größere Probleme möglich.

Geschlechtsbetonte Sprache nur verwenden, wenn die verschiedenen Geschlechter betont werden sollen

Die Verwendung geschlechtsbetonter Sprache sollte nicht die Regel sein. Geschlechtsbetonte Sprache sollte zielgerichtet eingesetzt werden, und zwar dann, wenn die verschiedenen Geschlechter betont werden sollen. Das ist dann der Fall, wenn betont werden soll, dass Menschen verschiedenen Geschlechts handeln oder gemeint sind. Insbesondere bei Stellenanzeigen, die sich an Menschen jeden Geschlechts richten, ist sie angebracht. Damit niemand wegen seines Geschlechtes benachteiligt wird, ist sie bei solchen Stellenanzeigen sogar verpflichtend vorgeschrieben. Dabei müssen auch „diverse“ Menschen sichtbar werden.