Die deutsche Sprache kennt nur drei grammatische Geschlechter: männlich, weiblich, sächlich. Dies entspricht der üblichen Wahrnehmung, wonach es Männer, Frauen und Sachen gibt. Zwar sind das grammatische Geschlecht und das biologische Geschlecht voneinander zu unterscheiden, doch besteht zwischen Sprache und Gesellschaft ein Zusammenhang: Sprache wird von Gesellschaft geprägt und Gesellschaft prägt Sprache.
Ausgeblendet bleiben in der deutschen Sprache und vielfach auch in der gesellschaftlichen Wahrnehmung diejenigen Menschen, die sich weder als (eindeutig) männlich noch als (eindeutig) weiblich ansehen. Oftmals fühlen sich diese weder in männlichen noch in weiblichen Sprachformen eingeschlossen und auch sächliche Sprachformen passen nicht.
Aber wie kann sich ein Mensch weder (eindeutig) männlich noch (eindeutig) weiblich sein? Wie ist denn das Geschlecht derer, die unter die Sammelbezeichnung „divers“ fallen? Eine Beschäftigung mit diesen Fragen erleichtert das Verständnis dafür, warum die Meinung vertreten wird, dass Sprache auch andere Geschlechter als nur das männliche und weibliche sichtbar machen solle.
LSBTTIQ* und Queer als Sammelbegriffe
Die rechtliche Bezeichnung „divers“ meint alle Geschlechter, die nicht „männlich“ oder „weiblich“ sind. Darüber hinaus gibt es noch weitere (Selbst-)Bezeichnungen von Menschen, die von der zweigeschlechtlichen (Mann – Frau) und auch heterosexuellen Norm abweichen. LSBTTIQ* hat sich erst im 21. Jh. als Sammelbezeichnung für solche Menschen durchgesetzt. Sie setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Begriffe „lesbisch“, „schwul“, „bisexuell“, „transsexuell“, „transgender“, „intersexuell“ und „queer“ zusammen. Das Sternchen macht deutlich, dass die Aufzählung nicht abschließend ist, also weitere diverse Personengruppen eingeschlossen sind. Es wird deutlich: Es handelt sich um eine sehr unterschiedlich zusammengesetzte Gruppe. LSBTTIQ* ist sowohl eine Fremd- als auch Selbstbezeichnung, die es auch in Abwandlungen gibt.
„Queer“ ist ein Begriff der englischen Sprache und bedeutet „seltsam“, „sonderbar“, „gefälscht“, „fragwürdig“. Ursprünglich handelte es sich um eine abfällige Fremdbezeichnung für ein Verhalten und Begehren, das nicht dem üblichen von Männern und Frauen entspricht. Seit den 1990er Jahren hat die Bezeichnung einen positiven Klang bekommen und ist auch eine Selbstbezeichnung. Als „queer“ oder „Queers“ bezeichnen sich Menschen, die von der heterosexuellen und/oder zweigeschlechtlichen Norm abweichen. Dabei wird der Begriff bewusst offen gehalten, weil das erlaubt, auf Abgrenzungen und Definitionen weitgehend zu verzichten. „Queer“ wird deshalb manchmal auch als Oberbegriff für „LSBTTIQ“ verwendet und bezeichnet Lebensentwürfe und Lebenswelten, die nicht den Normen von Männern und Frauen entsprechen, insgesamt.i
Das biologische Geschlecht
Um die Gründe für die Vielfalt geschlechtlicher Identitäten zu verstehen, ist es hilfreich, sich mit den verschiedenen Definitionen der Geschlechtlichkeit vertraut zu machen. Zunächst einmal hat der Mensch ein biologisches Geschlecht. Dieses ist an seinen Geschlechtsorganen zu erkennen, die auch als „primäre Geschlechtsmerkmale“ bezeichnet werden. Die primären Geschlechtsmerkmale sind bereits vor der Geburt vorhanden und dienen der Fortpflanzung. Zu ihnen zählen etwa Scheide, Eileiter, Gebärmutter (bei den Mädchen und Frauen) und Hoden und Penis (bei den Jungen und Männern).
Mit der Pubertät entstehen die sekundären Geschlechtsmerkmale. Bei den Frauen sind dies die Brüste, die Scham- und Achselbehaarung, die im Vergleich zu den Männern höhere Stimmlage und außerdem der andere Körperbau (z. B. ausladendes Becken, schmalere Taille). Bei den Männern entstehen als sekundäre Geschlechtsmerkmale Schambehaarung, Bartwuchs und weitere Körperbehaarung, außerdem breitere Schulter und stärkerer Muskelbau als bei Frauen.
Geschlechtsidentität
Nun ist es aber so, dass sich nicht jeder Mensch mit seinem biologischen Geschlecht identifiziert. Eine Frau kann sich als Mann fühlen und umgekehrt. Die Geschlechtsidentität gibt an, mit welchem Geschlecht sich jemand identifiziert. Im Normalfall entspricht die Geschlechtsidentität dem biologischen Geschlecht, aber es gibt auch Ausnahmen. Wenn die Geschlechtsidentität nicht mit dem biologischen Geschlecht übereinstimmt, kann eine Umwandlung des biologischen Geschlechts vorgenommen werden.ii
Transgender
Menschen, deren äußerliche Geschlechtsmerkmale und damit auch das bei der Geburt zugewiesene biologische Geschlecht nicht mit dem gefühlten Geschlecht übereinstimmen, bezeichnen sich als „transgender“. Daneben wird auch die Schreibform „trans*“ benutzt. Der lateinische Begriff „trans“ bedeutet „von einem (Ort) zum andern“ oder „jenseits“. Und das Sternchen mit seinen vielen Zacken weist auf die Vielfalt der biologischen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten hin. „Trans*“ wird (ebenso wie „inter*“ gewöhnlich als Adjektiv benutzt, um nicht die Eigenschaft überzubetonen. Von einem transgeschlechtlichen Menschen als „Trans*-Menschen“ zu sprechen, käme der Bezeichnung „Kleinmensch“ oder „Großmensch“ für kleine bzw. große Menschen gleich.
Menschen, die „transgender“ sind, überschreiten also die herkömmlichen Geschlechtergrenzen. Sie können sich als Junge oder Mann fühlen, obwohl ihnen bei der Geburt das biologische Geschlecht „weiblich“ zugewiesen worden ist – oder umgekehrt. Sie können sich auch zugleich als „männlich“ und „weiblich“ fühlen, auch wenn ihnen bei der Geburt nur ein biologisches Geschlecht zugewiesen worden ist. Und schließlich können sie sich auch außerhalb von „männlich“ und „weiblich“ verorten. In dem Fall können sie sich einem anderen Geschlecht außerhalb der zweigeschlechtlichen Norm zuordnen oder für sich jedes Geschlecht zurückweisen. Mit der Zurückweisung jeglichen Geschlechtes kann auch die Zurückweisung des Begriffs „transgender“ einhergehen. Der Begriff „trans*“ ist offener, weil er die Erwähnung jeglichen Geschlechts vermeidet und deutlicher die Vielfalt der Identitäten zu erkennen gibt.
Transgender ist keine Frage der Geschlechtsmerkmale, sondern eine Frage der Geschlechtsidentität. Daher wird die Diagnose Trans* von Psychologen und Psychiatern festgestellt und nicht mittels körperlicher Untersuchungen.
Der englische Begriff „Gender“ bezeichnet insbesondere das „soziale Geschlecht“. Dieses richtet sich nach sozialen Rollen und Erwartungen. Der Begriff „transgender“ macht also deutlich, dass es nicht nur um das biologische Geschlecht, um die Geschlechtsorgane, geht. Vielmehr geht es auch – und das in besonderem Maße – um die mit dem biologischen Geschlecht verbundene soziale Rolle. Menschen außerhalb der zweigeschlechtlichen Norm wollen sichtbar werden, die Rollenzuweisungen und Erwartungen überwinden und nicht unterdrückt und stigmatisiert werden.
„Transgender“ ist ebenso wie die rechtliche Bezeichnung „divers“ ein Oberbegriff. Für die vielen verschiedenen biologischen Geschlechter und auch Geschlechtsidentitäten gibt es eine Vielzahl eigener Bezeichnungen. Und mit der Vielzahl Bezeichnungen ist auch eine Vielzahl Definitionen verbunden. All dies spiegelt die Vielgestaltigkeit der Welt jenseits der zweigeteilten (= binären) Geschlechtsvorstellung wieder.iii
Intergeschlechtlichkeit
Der lateinische Begriff „inter“ bedeutet „zwischen“. Als intergeschlechtlich oder auch intersexuell werden Menschen bezeichnet, die weder eindeutig Mann noch eindeutig Frau sind. Im Volksmund werden diese Menschen als „Zwitter“ bezeichnet. Bei diesen Menschen können die Geschlechtsmerkmale nicht klar ausgeprägt sein. So gibt es Menschen, die mit einem Penis und einer Vagina geboren werden. Oder ein Mensch kann äußerlich wie eine Frau aussehen, jedoch keine Eierstöcke, sondern kleine Hoden haben. Intergeschlechtliche Menschen können aber auch äußerlich wie ein Mann oder eine Frau erscheinen, dabei aber weiblich bzw. männlich wirken.
Es gibt verschiedene Ursachen für eine unklare Geschlechtszuordnung. Intergeschlechtlichkeit beruht hauptsächlich auf Chromosomenveränderungen. Bei Männern ist der Chromosomensatz XY, bei Frauen XX. Intergeschlechtliche Menschen können den Chromosomensatz X oder YXX haben (Turner- bzw. Klinefeldersyndrom). Auch kann eine Hormonstörung vorliegen, von der es verschiedene Arten gibt. So kann es sein, dass ein Mensch mit männlichem XY-Chromosomensatz als Frau aufwächst, weil die Rezeptoren der Zellen nicht das männliche Hormon Testosteron erkennen (Androgenresistenz-Syndrom). Darüber hinaus können Störungen der Nierenfunktion oder Enzymschädigungen für eine Intersexualität verantwortlich sein.
Meistens ist die Diagnose einer Intergeschlechtlichkeit ein Zufallsbefund. Weisen Anzeichen auf eine mögliche Intersexualität hin, wird zu Beginn das Blut untersucht. Die Blutuntersuchung dient der Bestimmung des Hormonstatus und einer Untersuchung des Chromosomensatzes. Darüber hinaus wird mit Hilfe einer Ultraschalluntersuchung der Bauch- und Beckenraum untersucht, um herauszufinden, ob eine Gebärmutter, Eierstöcke und Eileiter im Becken vorhanden sind. In einer speziellen Röntgenuntersuchung, einem Genitogramm, wird untersucht, ob eine Scheide ausgebildet ist. Mittels einer umfangreichen Diagnostik bei einer Intersexualität kann eine Prognose im Hinblick auf eine mögliche Unfruchtbarkeit erstellt werden. Sie erleichtert auch die Entscheidung, mit welchem Geschlecht Betroffene leben wollen, ob eine Behandlung erforderlich ist.
In der Vergangenheit wurden die Betroffenen oft operiert, um die Geschlechtsorgane „normaler“ zu machen. Auch wurden Hormontherapien durchgeführt, mit denen eine stärkere Weiblichkeit oder eine stärkere Männlichkeit erreicht werden sollte. Intergeschlechtliche bzw. intersexuelle Menschen sollten zu Frauen oder zu Männern werden. Mit der Einführung der Möglichkeit des Geschlechtseintrags „divers“ und den vermehrten Rechten diverser Menschen wird diese Vorgehensweise jedoch zunehmend hinterfragt. In der Vergangenheit hat man gewöhnlich gemeint, dass es sich bei der Intersexualität um eine Krankheit handele. Sie wurde als „Störung (der geschlechtlichen Entwicklung)“ bezeichnet. Heute geht man eher von einer Variante der geschlechtlichen Entwicklung aus. Damit steht man Operationen und Hormontherapien reservierter gegenüber.iv
Geschlechtslosigkeit
Menschen, die nicht eindeutig Mann oder Frau sind oder sich nicht eindeutig als Mann oder Frau empfinden, können sich im Rahmen des dritten Geschlechts „divers“ mit all seinen verschiedenen Ausprägungen definieren. Sie können aber auch alle Kategorien der Geschlechtlichkeit ablehnen. Sie definieren sich dann selbst als „geschlechtslos“.
Es können auch sämtliche Geschlechtsdefinitionen infrage gestellt werden. Dann wird meist betont, dass wir alle „Menschen“ sind. Damit ist das Bemühen verbunden, nicht nur die konventionelle Sprache, sondern auch die genderinklusive Sprache zu überwinden. Sprache soll demnach „genderfrei“ sein. Es geht also nicht nur um die Überwindung der binären Geschlechtsvorstellung Mann – Frau und der damit verbundenen Rollenzuweisungen und -erwartungen, sondern es geht auch darum, jegliche Geschlechtseinordnung und jegliche Rollenzuweisung und -erwartung zu überwinden. Zu diesem Zweck sollen Sprachformen eingeführt werden, die jegliche Geschlechtlichkeit nivellieren.
Sexuelle Identität
Die sexuelle Identität hat wenig mit dem biologischen Geschlecht und der Geschlechtsidentität zu tun. Sie besagt, zu welchem Geschlecht sich ein Mensch sexuell hingezogen fühlt. Im Normalfall fühlt sich ein Mann zur Frau hingezogen und eine Frau zum Mann. Diese Hinwendung zum anderen Geschlecht wird „Heterosexualität“ genannt. Wenn sich eine Frau zur Frau und ein Mann zum Mann sexuell hingezogen fühlt, dann nennt man das „Homosexualität“. Ein Mann oder eine Frau kann sich aber auch zu beiderlei Geschlecht sexuell hingezogen fühlen. Die Bezeichnung dafür ist „Bisexualität“. Als „Transsexualität“ schließlich wird bezeichnet, wenn die Geschlechtsmerkmale nicht mit dem Geschlechtsbewusstsein übereinstimmen.v
iEin knapper Überblick über die Bedeutung der verschiedenen Begriffe findet sich in Bundesverband der Kommunikatoren e. V. [Hrsg.], Kompendium Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren, Berlin 2020, 28-29. Auf die unterschiedliche Verwendung der Begriffe weist Netzwerk LSBTTIQ [Hrsg.], Vielfalt von Geschlecht in der Schule: Ein Leitfaden für Schulen in Baden-Württemberg, Freiburg i. Br. 2020, 2-3 hin. Ausführlich zur Bedeutung von LSBTTIQ siehe https://www.lsbttiq-bw.de/lsbttiq-geschichte-in-baden-und-wuerttemberg-erforschen/lsbttiq-ein-quellenbegriff/ (aufgerufen am 10.08.2022). Ein queeres Lexikon bietet https://100mensch.de/lexikon/ (aufgerufen am 15.03.2023).
iiÜber die verschiedenen Aspekte des Geschlechts informiert https://gendertreff.de/definition/ (aufgerufen am 10.08.2022).
iiiÜber Transgender und Transidentität informiert https://gendertreff.de/definition/ (aufgerufen am 10.08.2022).
ivVgl. https://medlexi.de/Intersexualit%C3%A4t ; https://www.planet-wissen.de/gesellschaft/sexualitaet/intersexualitaet/index.html#wie (jeweils aufgerufen am 10.08.2022).
vVgl. Netzwerk LSBTTIQ [Hrsg.], Vielfalt von Geschlecht in der Schule: Ein Leitfaden für Schulen in Baden-Württemberg, Freiburg i. Br. 2020, 5-7.