Das Verbot des Werbeverbots für Abtreibung stammt aus der Zeit des Nationalsozialismus. Weil der Inhalt des Verbots keinen nationalsozialistischen Charakter hat, hat es die Zeit überdauert. Aufgehoben wurden nur die drakonischen Strafen. Weil sich die Ärzte von Anzeigen wegen eines Verstoßes gegen das Werbeverbot bedroht sahen und Frauenrechtlerinnen auf das Recht der Informationsfreiheit hinwiesen, wurde das Werbeverbot eingeschränkt und schließlich ganz infrage gestellt und abgeschafft.

Die Einführung des Werbeverbots im Zeitalter des Nationalsozialismus

Strafandrohungen für Abtreibungen erfolgten im Laufe der Geschichte gewöhnlich aus zwei Motiven: Das erste Motiv war die Vermehrung der Bevölkerung, das zweite Motiv, das zunehmend die Oberhand gewann, war der Schutz des ungeborenen Lebens. Angesichts der seit Beginn des 20. Jahrhunderts sinkende Geburtenrate im Deutschen Reich, die um 1930 einen historischen Tiefstand erreichte, richtete sich im Zeitalter des Nationalsozialismus der Blick wieder verstärkt auf die Vermehrung der Bevölkerung.

Bereits ab 1913 war die Frage diskutiert worden, ob auch Vorbereitungshandlungen der Abtreibung unter Strafe gestellt werden sollten. Der nationalsozialistische Gesetzgeber, der an einer Ausweitung der Strafbestimmungen gegen die Abtreibung interessiert war, machte der Diskussion schließlich ein Ende und entschied sich – von „der Erkenntnis der Wichtigkeit des Nachwuchses“ getrieben – für die Einführung einer entsprechenden Strafbarkeit. Das Ausmaß von Abtreibungen und entsprechender Annoncen in Zeitschriften und Zeitungen wurde als zunehmende Bedrohung wahrgenommen. So kam der Gesetzgeber zur Ansicht, dass bei Schwangeren oftmals erst durch entsprechende Vorbereitungshandlungen überhaupt der Entschluss zur Abtreibung geweckt oder doch zumindest erheblich gefördert würde. Nach bisheriger Gesetzeslage gab es nur die Bestimmung in § 49 RStGB (= Reichsstrafgesetzbuch), wonach das Anbieten allenfalls bei gewerblichen Abtreibungen, für die ein konkreter Preis genannt war, strafbar war.

Vor diesem Hintergrund wurde das öffentliche Anbieten von Abtreibungen am 26. Mai 1933 in den § 219 und 220 des RStGB unter Strafe gestellt. § 219 Abs. 1 lautete „Wer zum Zwecke der Abtreibung Mittel, Gegenstände oder Verfahren öffentlich ankündigt oder anpreist oder solche Mittel oder Gegenstände an einem allgemein zugänglichen Orte ausstellt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Gemäß § 219 Abs. 2 war die medizinische und pharmazeutische Berufswelt von dieser Bestimmung ausgenommen. § 220 RStGB wiederum lautete: „Wer öffentlich seine eigenen oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung von Abtreibungen anbietet, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Neben der Einführung der §§ 219 und 220 wurde die nationalsozialistische Bevölkerungspolitik durch eine drakonische Verschärfung der Strafen für Schwangerschaftsabbruch bis hin zur Todesstrafe abgesichert.

Am 18. März 1943 wurde die Vorschrift § 219 RStGB durch die Verordnung zur Durchführung der Verordnung zum Schutz von Ehe, Familie und Mutterschaft wesentlich modifiziert. Sie erhielt den Wortlaut: „„Wer Mittel oder Gegenstände, welche die Schwangerschaft abbrechen oder verhüten oder Geschlechtskrankheiten vorbeugen sollen, vorsätzlich oder fahrlässig einer Vorschrift entgegen herstellt, ankündigt oder in den Verkehr bringt, wird mit Gefängnis bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“

Die Entstehung des Gesetzestextes von 1974

Diese drakonischen Strafen wurden nach 1945 aufgehoben. Die Vorschriften zum Werbeverbot blieben dagegen auch nach Ende des Dritten Reiches im Wesentlichen bestehen, da ihr durch die Alliierten kein spezifischer NS-Gehalt zugeschrieben wurde. Dabei wurde die Fassung von 1933 wieder hergestellt.

Mit dem Fünften Gesetz zur Reform des Strafrechts vom 18. Juni 1974 erhielt § 219a Strafgesetzbuch seine im Jahr 2022 weiterhin gültige Fassung. Gemäß dieser wird mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer öffentlich seines Vermögensvorteils wegen oder in grob anstößiger Weise eigene oder fremde Dienste zur Vornahme oder Förderung eines Schwangerschaftsabbruchs oder entsprechende Mittel oder Verfahren anbietet, ankündigt, anpreist oder Erklärungen solchen Inhalts bekanntgibt.i

Die Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel als Auslöserin einer Debatte um das „Werbeverbot“

Mit der Verurteilung der Ärztin Kristina Hänel zu einer Geldstrafe wurde eine Debatte um das „Werbeverbot“ § 219a angestoßen. Grund ist ihre Webpräsenz: Wer sie aufruft, findet unter „Spektrum“ das Wort „Schwangerschaftsabbruch“. Stein des Anstoßes war ein Link auf eine Webseite, über die man sich weitergehende Informationen per E-Mail zuschicken lassen konnte. Hänel klagte sich nach dem Urteil durch die Instanzen bis vor das Bundesverfassungsgericht, was sie als Kämpferin für das Informationsrecht von ungewollt Schwangeren bekannt machte.

Die Angeklagte begründete ihr Handeln damit, dass in den ihrer Meinung nach unterfinanzierten Beratungsstellen keine ausreichende Beratung der betroffenen Frauen erfolge. So gäben Beratungsstellen im katholischen Bereich offiziell keinen Hinweis auf Abtreibungsärzte. Ärzte, die Abtreibungen durchführen, würden von fundamentalistischen Internetaktivisten bundesweit gejagt und vermehrt zur Anzeige gebracht. Zunehmend zögen sich Ärzte aus der sozialen Indikation zurück, womit es Frauen wieder schwer gemacht werde, einen legalen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Damit bestünde die Gefahr, dass Frauen wieder vermehrt in die vereinfachte Fristenindikation des benachbarten Auslands ausweichen. Die Umgehung der Schwangerschaftskonfliktberatung könne damit kontraproduktiv gerade zu mehr statt ansonsten vermeidbarer Schwangerschaftsabbrüche führen.ii

Die Positionen der Bundestagsfraktionen

Die verschiedenen Bundestagsfraktionen brachten im Laufe der Debatte eigenen Anträge ein. Aus den Anträgen und den Reden der Abgeordneten gehen klar die verschiedenen Positionen hervor. Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD), Freie Demokratische Partei (FDP), Linke und Bündnis 90/Die Grünen sehen im „Werbeverbot“ § 219a eine nicht akzeptable Bevormundung von Frauen, denen Informationen vorenthalten würden, Auch handele es sich um eine nicht hinnehmbare Einschränkung der Ärzte, wenn sie bei der Ausübung ihres Berufes Strafverfolgung und Kriminalisierung befürchten müssen. Die FDP macht sich für eine Änderung der Regelung dahingehend stark, dass künftig nur noch „grob anstößige Werbung“ unter Strafe gestellt werden sollte.iii Den Linken und Bündnis 90/Die Grünen reicht eine solche Änderung nicht aus. Ihr Ziel ist die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen und somit nicht nur die Streichung des §219a, sondern auch die Streichung des § 218.iv Als Regierungspartei war die SPD in der Bedrouille: Einerseits ist auch sie für die Streichung des §219a, andererseits musste sie auf ihre Koalitionspartnerin, die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU), Rücksicht nehmen. Diese ist für den Beibehalt des § 219a. Die Alternative für Deutschland (AfD) spricht sich ebenfalls dagegen aus, am Strafrechtsschutz für die Ungeborenen zu rütteln.

Die Ergänzung des § 219a als Kompromiss der Fraktionen der CDU/CSU und SPD

Um einen Koalitionsstreit zu vermeiden, einigten sich die Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf einen Kompromiss-Gesetzentwurf, wonach § 219a StGB in einem neuen Absatz 4 um einen weiteren Ausnahmetatbestand ergänzt werden sollte. Dieser fand die Mehrheit. Demnach dürfen Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen zukünftig auch öffentlich ohne Risiko der Strafverfolgung darüber informieren, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Sie dürfen darüber hinaus weitere Informationen über einen Schwangerschaftsabbruch durch Hinweis – insbesondere durch Verlinkung in ihrem Internetauftritt – auf entsprechende Informationsangebote neutraler Stellen, die im Gesetz ausdrücklich benannt werden, zugänglich machen.

Außerdem sah der Gesetzentwurf eine Änderung im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) vor. Mit dieser gibt es zukünftig eine von der Bundesärztekammer zentral geführte Liste mit Ärzten sowie Krankenhäusern und Einrichtungen, die mitgeteilt haben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 StGB durchführen. Diese Liste enthält auch Angaben über die dabei jeweils angewendeten Methoden. Die Bundesärztekammer aktualisiert diese Liste monatlich und veröffentlicht sie im Internet. Die Liste wird auch durch die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung veröffentlicht. Ebenfalls erteilen der bundesweit zentrale Notruf (Hilfetelefon „Schwangere in Not“ nach § 1 Absatz 5 Satz 1 SchKG) sowie die Schwangerschaftsberatungsstellen und -konfliktberatungsstellen (nach dem SchKG) Auskunft über die in der Liste enthaltenen Angaben.

Diese Änderungen wurden damit begründet, dass die Überschrift „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ nahelege, dass § 219a des Strafgesetzbuches (StGB) nur werbende Handlungen unter Strafe stellt. Das sei jedoch nicht der Fall. Bei Personen, die wegen eines eigenen Vermögensvorteils handeln, werde vielmehr schon die bloße Information darüber, dass sie einen – nach § 218a Absatz 1 bis 3 StGB straflosen – Schwangerschaftsabbruch durchführen, vom Straftatbestand erfasst, sofern dies öffentlich (etwa auf der Homepage einer ärztlichen Praxis), in einer Versammlung oder durch das Verbreiten von Schriften geschieht.

Aufgrund der bisherigen Fassung des § 219a sei es bisher mitunter problematisch gewesen, Informationen über Ärzte sowie Krankenhäuser und Einrichtungen zu erhalten, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Die betroffenen Frauen hätten somit oftmals nach der Beratung noch zusätzliche Zeit benötigt, um eine Stelle ausfindig zu machen, wo der Schwangerschaftsabbruch durchgeführt werden kann. Das sei insofern widersinnig gewesen, weil ja über das Internet bereits Informationen und Bewertungen unterschiedlichster Qualität breit verfügbar gewesen seien. Aber gerade die neutralen, medizinisch und rechtlich qualitätsgesicherten Informationen auch von Seiten staatlicher oder staatlich beauftragter Stellen hätten bisher den Schwangeren nicht zur Verfügung gestanden. Das sei mit Blick auf die Sensibilität des Themas zu ändern.

Als Ziel des – schließlich verabschiedeten – Gesetzentwurfs wird die Verbesserung der Information von Frauen, die einen Schwangerschaftsabbruch in Erwägung ziehen, sowie Rechtssicherheit für Ärzte, Krankenhäuser und Einrichtungen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, angeführt. Gleichzeitig solle das Verbot der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch erhalten bleiben, um das Rechtsgut des ungeborenen Lebens zu schützen.v

Kritik des Deutschen Juristinnenbundes

Ganz unabhängig davon, ob man die Änderung des § 219a StGB und des Schwangerschaftkonfliktgesetzes gutheißt oder nicht, lässt sich zumindest festhalten, dass die Begründung und Zielsetzung nachvollziehbar sind. Auch aus verfassungsrechtlicher Sicht gab es keine Beanstandung.

Dennoch gab es Kritik. Diese entzündete sich insbesondere an der Tatsache, dass die strafrechtliche Sanktionierung der „Werbung für den Abbruch der Schwangerschaft“ weiterhin bestehen blieb. So kritisierte der Deutsche Juristinnenbund – einer der besonders profilierten Kritiker -, dass es bei dem Kompromiss bei einem unverhältnismäßigen und damit verfassungswidrigen Eingriff in die Berufsfreiheit der Ärzte bleibe. Es entstünden neue Wertungswidersprüche, indem Ärzte zwar über die Tatsache öffentlich informieren dürfen, dass sie Schwangerschaftsabbrüche durchführen, schon bei Informationen zu Methoden aber auf Listen anderer Stellen verweisen müssen.

Gemäß dem Deutschen Juristinnenbund unterlägen Ärzte ohnehin den standesrechtlichen Regelungen (Berufsordnungen), dem Heilmittelwerbegesetz und dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb. Diese gestatteten sachliche berufsbezogene Informationen ausdrücklich. Berufswidrige anpreisende, vergleichende, irreführende oder grob anstößige Werbung würden dagegen mit standesrechtlichen Konsequenzen und Bußgeldern zwischen 25.000 und 200.000 Euro sanktioniert. Ferner müssten Ärzte berufswidrige Werbung durch Dritte unterbinden.

Als regelungsbedürftig im Sinne eines gesellschaftlichen „Klimaschutzes“ erweise sich daher letztlich nur das kommerzialisierte oder grob anstößige Anpreisen von Schwangerschaftsabbrüchen durch Dritte, auf welche die Ärzte keinen Einfluss hätten. Diesem könne durch das Einfügen eines entsprechenden Tatbestands im Rahmen der Ordnungswidrigkeiten begegnet werden.vi

Der § 219a als Verstoß gegen die Menschenrechte von Frauen

Einer der wesentlichen Kritikpunkte gegenüber dem § 219a ist, dass das „Werbeverbot“ gegen die Menschenrechte der Frauen verstoße. So heißt es im gemeinsamen Bericht von German Alliance for Choice (GAfC) für die Frauenrechtskonvention (CEDAW), dass die Verweigerung von Informationen und Dienstleistungen zum Schwangerschaftsabbruch das Leben und die Gesundheit von Frauen* zutiefst beeinträchtige und die Umsetzung oder Verwirklichung einer Reihe von bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rechten behindere. Da der Schwangerschaftsabbruch eine medizinische Dienstleistung sei, die nur Frauen* benötigen, sei der Zugang zu einem Schwangerschaftsabbruch eine Voraussetzung für die Gewährleistung von Geschlechtergerechtigkeit.

CEDAW, Allgemeine Empfehlung Nr. 35, Abs. 18 besage: „Verletzungen der sexuellen und

reproduktiven Gesundheit und Rechte von Frauen, wie […] die Kriminalisierung des Schwangerschaftsabbruchs, die Verweigerung oder Verzögerung von einem sicheren Schwangerschaftsabbruch und/oder der Betreuung nach einem Schwangerschaftsabbruch, die erzwungene Fortsetzung einer Schwangerschaft sowie der Missbrauch und die

Misshandlung von Frauen und Mädchen, die Informationen, Mittel und Dienstleistungen zur sexuellen und reproduktiven Gesundheit suchen, sind Formen geschlechtsspezifischer Gewalt […]“

Laut § 219a sei es strafbar, wenn diejenigen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, Informationen über den Schwangerschaftsabbruch veröffentlichen, die über die bloße Tatsache hinausgehen, dass sie die Dienstleistung des Schwangerschaftsabbruchs erbringen. Dies könnte eine Verletzung des Regressionsverbotes darstellen.vii

Allerdings werden den Schwangeren durch die Regelungen des § 219a keine Informationen vorenthalten. Die Informationen dürfen nur eben nicht im Internet veröffentlicht werden, damit Schwangerschaftsabbrüche nicht wie eine gewöhnliche Gesundheitsleistung erscheinen. Es geht um die Frage, ob das Internet der richtige Ort ist, oder ob die Informationen nicht besser über die Liste der Bundesärztekammer oder in Beratungsgesprächen vermittelt werden. Die Liste der Bundesärztekammer ist auf deren Webpräsenz mit einem Klick erreichbar. Insofern ist keine nennenswerte Hürde beim Zugang zu den Informationen gegeben. Die Informationen sind allerdings nur rudimentär, weshalb Schwangere bzw. Eltern von den Ärzten weitere Informationen einholen müssen. Das verlangt von den Schwangeren bzw. Eltern und Ärzten einen gewissen Aufwand.

Der Referentenentwurf des FDP-geführten Bundesministeriums der Justiz

Mit der Bundestagswahl 2021 fand die Große Koalition von CDU/CSU und SPD ein Ende und die SPD, Bündnis 90/Die Grünen und die FDP schmiedeten eine neue Regierungskoalition. Diese hielt im Koalitionsvertrag fest: „Ärzte sollen öffentliche Informationen über Schwangerschaftsabbrüche bereitstellen können, ohne eine Strafverfolgung befürchten zu müssen. Daher streichen wir § 219a StGB.“ Bezüglich der Streichung des § 219a StGB herrschte zwischen den Koalitionsparteien Konsens.

Die Ausarbeitung des entsprechenden Gesetzentwurfes kam dem Bundesministerium der Justiz zu. Dieses begründete seinen Gesetzentwurf – als Referentenentwurf bezeichnet – wie folgt: Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 des Strafgesetzbuches (StGB) vornehmen, müssten mit strafrechtlicher Verfolgung rechnen, wenn sie sachliche Informationen über Ablauf und Methoden des Schwangerschaftsabbruchs öffentlich (etwa auf ihrer Webpräsenz) bereitstellen oder in einer Versammlung oder durch Verbreiten eines Inhalts (§ 11 Absatz 3 StGB) darüber berichten. Sie seien auch gehindert, auf diese Weise bekannt zu geben, welche Methode des Schwangerschaftsabbruchs sie anbieten. Betroffenen Frauen werde hierdurch zum einen der ungehinderte Zugang zu sachgerechten fachlichen Informationen über den sie betreffenden medizinischen Eingriff und zum anderen das Auffinden einer geeigneten Ärztin oder eines geeigneten Arztes erschwert. Dies behindere den Zugang zu fachgerechter medizinischer Versorgung sowie die freie Arztwahl und beeinträchtige das Selbstbestimmungsrecht der Frau. Die Aufhebung der Strafvorschrift des § 219a StGB solle daher erreichen, dass sich betroffene Frauen besser informieren können.

Die Aufhebung des § 219a StGB sei mit der grundgesetzlichen Schutzpflicht für das ungeborene Leben vereinbar. § 219a StGB sei kein tragender Bestandteil des danach gebotenen Schutzkonzepts, dem der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung des Rechts des Schwangerschaftsabbruchs Rechnung zu tragen habe. Die Norm werde auch in den Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch nicht erwähnt. Eine Aufhebung des § 219a StGB stehe im Einklang mit dem Beratungskonzept, für das sich der Gesetzgeber im Lichte der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichtes zum Schutz des ungeborenen Lebens entschieden habe. Der Gesetzgeber dürfe hier darauf vertrauen, dass die betroffene Frau auf Grundlage der Informationen, die ihr in der schwierigen Situation nicht vorenthalten werden dürften, eine Entscheidung zu treffen vermag. § 219a StGB könne die unerwünschte Wirkung haben, dass eine verantwortungsbewusste Entscheidung über die Fortführung oder Beendigung der Schwangerschaft nicht innerhalb der gesetzlich (vgl. § 218a Absatz 1 Nummer 3 StGB) vorgegebenen ersten zwölf Wochen der Schwangerschaft erfolgen kann, weil der betroffenen Frau wichtige sachliche Informationen fehlen.

Eine Gefahr, dass durch die gesetzliche Änderung unsachliche oder gar anpreisende Werbung für Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzte betrieben wird, bestehe nicht. Es sei bereits durch strafrechtliche und berufsrechtliche Regelungen (vgl. § 111 StGB: öffentliche Aufforderung zu Straftaten; § 140 StGB: Belohnung und Billigung von Straftaten; § 27 Absatz 3 der Berufsordnungen der Landesärztekammern) ausreichend sichergestellt, dass die Information über den Schwangerschaftsabbruch nicht in einer Weise erfolgt, welche die Entscheidungsfreiheit der Frau beeinträchtigt, in eine bestimmte Richtung lenkt oder gar Schwangerschaftsabbrüche „kommerzialisiert“. Werbung für Schwangerschaftsabbrüche durch Ärzte sei so bereits ausgeschlossen. Hierdurch und durch die Beratungspflicht sei der Schutzpflicht des Gesetzgebers für das ungeborene Leben Rechnung getragen. Die Wirksamkeit des Beratungsmodells zeige sich auch daran, dass die Zahl der Schwangerschaftsabbrüche seit 1996 erheblich zurückgegangen ist (1996: 130.899, 2020: 99.948). Insofern sei eine Beschränkung der Strafandrohung in § 219a StGB auf Verhaltensweisen, die strafbare Schwangerschaftsabbrüche zum Gegenstand haben,

sowie auf Fälle grob anstößiger Werbung für den Schwangerschaftsabbruch keine sinnvolle Alternative zum vorgelegten Gesetzentwurf.

§ 219a StGB könne zu einer paradoxen Situation führen, wenn eine sachliche Information über einen Schwangerschaftsabbruch strafbar ist, obwohl die Rechtsordnung den Schwangerschaftsabbruch nicht unter Strafe stellt. Widersinnig sei zudem, dass die öffentliche Information über Schwangerschaftsabbrüche gerade dann strafbar ist, wenn sie

durch Ärzte erfolgt, obwohl diese mit am besten zur Erteilung zutreffender, seriöser sachlicher Information qualifiziert seien und das große Vertrauen der ratsuchenden Frauen genießen. Demgegenüber könnten selbst unqualifizierte, gegebenenfalls sogar falsche öffentliche Informationen anderer Personen, die selbst nicht von § 219a StGB erfasst werden, straffrei bleiben.

Indem die Änderung den allgemeinen Zugang zu Informationen und Aufklärung im Hinblick auf sexuelle und reproduktive Versorgung und reproduktive Rechte verbessere, trage sie zur Erreichung der Ziele für nachhaltige Entwicklung der Agenda 2030 der UN bei (Ziel 3 „Ein gesundes Leben für alle Menschen jeden Alters gewährleisten und ihr Wohlergehen fördern“ und Ziel 5 „Geschlechtergleichstellung erreichen und alle Frauen und Mädchen zur Selbstbestimmung befähigen“).viii

Bewertung seitens des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung

Das Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung begrüßte den Referentenentwurf, kritisierte aber, dass es ihm an weiterer progressiver Kraft mangele. Die generelle Wirksamkeit des Beratungsmodells werde mehrmals betont, wobei der Rückgang der Abbruchsquote als Beleg verwendet werde. Inwiefern es sich dabei um tatsächliche Kausalität (= ursächliche Beziehung) oder reine Korrelation (= Wechselbeziehung) handelt, bleibe offen. Das dahinterliegende System, das auf einer Kriminalisierung der Schwangeren beruhe, werde in keiner Weise in Frage gestellt, ja in gewisser Weise sogar betont. Maßstab einer jeden Gesetzesänderung scheine im konservativen Rechtsdiskurs das Urteil des Verfassungsgerichts von 1993 zu bleiben, das beinahe 30 Jahre alt und aus menschenrechtlicher Perspektive rückständig sei. Daran rüttele auch der neue Referentenentwurf leider nicht. Althergebrachte Bilder, die die Schwangere als konfliktbelastet darstellen, würden erzeugt.

Im Referentenentwurf fehle jeglicher Bezug zum internationalen Recht, wie der UN-Frauenrechtskonvention, dessen Empfehlungen Deutschland seit Jahren im Hinblick auf den kriminalisierten Schwangerschaftsabbruch ignoriere.ix

Einwände des Bundesverbandes Lebensrecht

Der Bundesverband Lebensrecht wendete ein, dass die Ärztin Kristina Hänel mit ihren Abtreibungen viel Geld verdiene. Außerdem informiere sie keineswegs sachgemäß. So spreche sie von „legalen Schwangerschaftsabbrüchen“ mit Beratungsschein, obwohl Schwangerschaftsabbrüche auch mit Beratungsschein rechtswidrig seien, nur eben straffrei blieben. Das Argument im Referentenentwurf für die Abschaffung von § 219a, Abtreibungsexperten könnten fachlich am ehesten zur Aufklärung‘ über Abtreibung beitragen, werde in wesentlichen Punkten geradezu klassisch ad absurdum geführt. Das Justizministerium weise zu Recht darauf hin, dass der Status ,des Vermögensvorteils wegen‘ bereits eintritt, wenn man für sein Tun ,ein Honorar erhält. Auch im Fall von Kristina Hänel sei es eindeutig und immer um – in Teilen sogar irreführende – Werbung des Vermögensvorteils wegen gegangen. Es handele sich um ein Paradebeispiel für das, was durch § 219a verhindert werden solle.x

Alternativen zur Streichung des § 219a

Verschiedene Stellungnahmen zur geplanten Streichung des § 219a befürchteten bei einer Abschaffung des § 219a einen Wildwuchs an Informationen und Werbung zum Schwangerschaftsabbruch. Die Werbung sei zwar den Ärzten seitens der Berufsordnungen untersagt, nicht jedoch Dritten wie z. B. Kliniken oder Vereinen. Diese könnten beispielsweise in Jugendzeitschriften, Kinos, U-Bahnen und Konzertprogrammen werben. Ein Wildwuchs an Informationen trage weder zum Schutz der Ungeborenen noch zur zuverlässigen Information der Schwangeren bzw. Eltern. Auch wer Reformbedarf sehe, müsse nicht unbedingt zur Streichung des § 219a greifen. Es stünden mildere Mittel zur Verfügung.xi

Das Kommissariat der deutschen Bischöfe wollte prüfen lassen, ob die von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung bereitgestellten Texte auch im Wortlaut auf der eigenen Webpräsenz der Ärzte übernommen werden können und sie – wie in der Liste der Bundesärztekammer – angeben können, ob sie den Schwangerschaftsabbruch medikamentös oder chirurgisch durchführen.xii

Die Strafrechtswissenschaftlerin Prof. Dr.. Liane Wörner wies darauf hin, dass Werbung schon den Zugang zur Entwicklung der erforderlichen Beratungsangebote zum Schutz des vorgeburtlichen Lebens verhindere. Sie schlug vor, die bisherige – durch § 219 StGB festgeschriebene – Schwangerschaftskonfliktberatung durch eine weitere Beratung zu ergänzen. Diese solle insbesondere die vollständige sachliche Information und Beratung zur Durchführung eines Abbruchs, zu den verwendeten Methoden sowie den damit einhergehenden Risiken, Konsequenzen und Kosten enthalten. Dies schließe eine psychologische Beratung zwingend ein.xiii

Schwierige Unterscheidung zwischen Information und (anpreisender) Werbung

Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob sich Information und Werbung überhaupt klar unterscheiden lassen. Werbung kann anpreisend sein, auch beschönigend. Es liegt in der Natur der Sache, dass das Beworbene positiv dargestellt wird, auch wenn es in Wirklichkeit vielleicht gar nicht so positiv ist. Werbung kann aber auch sehr sachlich gehalten sein, auch der Wahrheit entsprechen. Das Bemühen um eine möglichst wahrheitsgemäße Darstellung ist jedoch für Werbung nicht typisch. Die Definitionsfrage stellt sich nur, wenn es um die Webpräsenz der Klinik oder der Ärztin oder des Arztes geht, auf der die „Information“ erscheinen soll. Alles, was auf einem Werbemedium publiziert wird, zumal wenn dies entgeltlich geschieht, ist Werbung. Ein kostenpflichtiges Plakat auf einer Litfaßsäule beispielsweise ist grundsätzlich Werbung, auch wenn es reine Information enthält.

Ärztliches Standesrecht liegt außerhalb des Einflussbereiches des Gesetzgebers

Der Referentenentwurf des Justizministeriums führte an, dass grob anstößige Werbung

für den Schwangerschaftsabbruch auch künftig durch andere rechtliche Regelungen unzulässig bleibe. Es stellt aber einen Unterschied dar, ob sich Regelungen im Strafrecht oder Zivilrecht oder im ärztlichen Standesrecht finden. Veränderungen im Strafrecht und Zivilrecht sind Sache des Gesetzgebers, Veränderungen im ärztlichen Standesrecht dagegen nicht. Auf Letztere hat der Gesetzgeber keinen Einfluss.xiv

Die Streichung des § 219a

Im Juni 2022 wurde § 219a StGB mit einer deutlichen Mehrheit des Bundestages gestrichen. Für die Streichung stimmten die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie die Linksfraktion. Die Fraktionen von CDU/CSU und AfD votierten dagegen.

i Vgl. Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Entstehungsgeschichte des § 219a StGB, Sachstand WD 7 – 3000 – 159/17.

ii Vgl. Urteil des Landesgerichtes Gießen 3. Strafkammer vom 12. Oktober 2018, Aktenzeichen 3 Ns 406 Js 15031/15..

iii Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/820 (Gesetzentwurf der Fraktion der FDP).

iv Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/630 (Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen); Deutscher Bundestag, Drucksache 19/93 (Gesetzentwurf der Fraktion Die Linke).

v Vgl. Deutscher Bundestag, Drucksache 19/7693 (Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD).

vi Vgl. Stellungnahme Deutscher Juristinnenbund e. V. vom 26. Juni 2018; „Juristinnenbund fordert Abschaffung von § 219a StGB und legt eigenen Regelungsvorschlag vor“ (Pressemitteilung vom 31. Januar 2019).

https://www.djb.de/presse/pressemitteilungen/detail/pm19-04/ (aufgerufen am 3. Februar 2022).

vii Vgl. German Alliance for Choice (GAfC), Gemeinsamer Bericht an den VN-Ausschuss zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau für die Erstellung der List of Issues Prior to Reporting (LoIPR), 77. vorbereitende Arbeitsgruppensitzung (02. – 06.März 2020).

viii Vgl. Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz: Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGB).

ix Vgl. Bündnis für sexuelle Selbstbestimmung, Pressemitteilung: Referentenentwurf zur Streichung des Paragrafen 219a StGB, https://www.sexuelle-selbstbestimmung.de/17508/pressemitteilung-referentenentwurf-zur-streichung-des-paragrafen-219a-stgb/ (abgerufen am 05.02.2022).

x Vgl. Bundesverband Lebensrecht: Erlaubte Werbung für Abtreibung hat Folgen; https://keine-werbung-fuer-abtreibung.de/bundesverband-lebensrecht-erlaubte-werbung-fuer-abtreibung-hat-folgen/ (abgerufen am 05.02.2022); ähnlich die Stellungnahme des Bundesverband Lebensrecht e. V. (BVL) zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGBas Verbot der Werbung für Abtreibungen Paragraph 219a) vom 16. Februar 2022.

xi So z. B. die Stellungnahme des Bundesverband Lebensrecht e. V. (BVL) zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Aufhebung des Verbots der Werbung für den Schwangerschaftsabbruch (§ 219a StGBas Verbot der Werbung für Abtreibungen Paragraph 219a) vom 16. Februar 2022.

xii Vgl. Stellungnahme Kommissariat der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz; ähnlich die Stellungnahme von donum vitae Bundesverband zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz.

xiii Vgl. Stellungnahme Prof. Dr. Liane Wörner, LL.M. (UW-Madison), Universität Konstanz zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz.

xiv Vgl. Stellungnahme der Bundesärztekammer zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz; Stellungnahme Kommissariat der deutschen Bischöfe, Katholisches Büro in Berlin zum Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz.