Volksbegehren und Volksentscheide ermöglichen direkte Mitbestimmung des Volks. Direkte Beteiligungsformen von Bürgern an politischen Vorhaben werden von ihren Befürwortern als „lebendige Demokratie“ angesehen.i Angesichts von Politikverdrossenheit, Populismus, Extremismus und Überforderung angesichts der komplexen Realität stellt sich aber die Frage, ob diese Bewertung gerechtfertigt ist. Sind die Bürger tatsächlich willens und in der Lage, sich zu den Abstimmungsfragen ein gewisses Maß an Wissen anzueignen, sich in Scharen in die Abstimmungslokale zu begeben und unter Berücksichtigung von Sachargumenten zu entscheiden? Pauschal lassen sich diese Fragen nicht beantworten, weil viele Faktoren eine Rolle spielen, darunter insbesondere auch der Bildungsgrad. Die genauere Betrachtung eines besonders erfolgreichen Volksbegehrens kann uns aber einen Eindruck davon vermitteln, unter welchen Voraussetzungen ein Volksbegehren Erfolgsaussichten hat. Und sie kann uns einen Eindruck davon vermitteln, was mit „lebendig“ gemeint ist.

Das vom bayerischen Landesverband der Ökologisch-Demokratischen Partei (ÖDP) initiierte Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“, bekannter unter der Kurzbezeichnung „Rettet die Bienen!“, ist das erfolgreichste Volksbegehren des Freistaates Bayern. Der überwältigende Erfolg war kein Zufallsprodukt und lässt sich auch nicht (in erster Linie) mit Populismus erklären. Vielmehr war eine Vielzahl von Faktoren entscheidend, die von einer günstigen Ausgangslage über gute und dezentrale Organisation bis hin zu einem breiten gesellschaftlichen Bündnis reichen. Optimal war, dass ausreichendes Wissen und Emotionen Hand in Hand gingen. Die Biene als „Wappentier“ der Kampagne stellte eine ausgesprochene Sympathieträgerin dar. Zu einem Volksentscheid kam es jedoch nicht, weil der Landtag das Volksbegehren in Verbindung mit einem Begleitgesetz übernahm.

Der Hintergrund des Volksbegehrens

Laut ÖDP belegten wissenschaftliche Studien, dass in Bayern immer mehr Tier- und Pflanzenarten vom Aussterben bedroht oder bereits verschwunden sind. Besonders betroffen seien die Insekten, die unter anderem für das Überleben der Menschheit als Bestäuber von Nahrungspflanzen existenziell wichtig seien. In Deutschland seien knapp 50 % aller Bienenarten in ihrem Bestand bedroht oder bereits ausgestorben, über 75 % aller Fluginsekten seien nicht mehr da und die Bestände an Schmetterlingen seien vielfach sogar noch stärker zurückgegangen, in einigen Regionen Bayerns teilweise um 70-90 %. Unter anderem in Folge des Insektenschwundes lebten in Bayern nur noch halb so viele Vögel wie vor 30 Jahren. Um diese dramatische Entwicklung zu stoppen, sei das Volksbegehren Artenvielfalt gestartet worden.ii

Der Zulassungsantrag

Im Landeswahlgesetz des Freistaates Bayern heißt es in Art. 63 Abs. 1: „Der Antrag auf Zulassung eines Volksbegehrens ist schriftlich an das Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration zu richten. Ihm muss der ausgearbeitete, mit Gründen versehene Gesetzentwurf, der den Gegenstand des Volksbegehrens bilden soll, beigegeben sein. Der Antrag bedarf der Unterschrift von 25 000 Stimmberechtigten; […].“ Über den Staatshaushalt findet gemäß Artikel 73 der Bayerischen Verfassung (vgl. Art. 62 Abs. 2 LWG) grundsätzlich kein Volksbegehren statt.

Die Sammlung der benötigten 25.000 Unterschriften stellte für die Initiatorin keine nennenswerte Hürde dar. Ihr gelang es, am 5. Oktober 2018 fast 95.000 Unterschriften beim Innenministerium einzureichen.iii

Der Trägerkreis

Die Durchführung eines Volksbegehren kann gewöhnlich nicht von dem Initiator allein gestemmt werden, denn die Organisation, Durchführung der Sammlung und Öffentlichkeitsarbeit verursachen dafür zu viel Arbeit und zu hohe Kosten. Insofern bildet der Initiator einen Trägerkreis, der Arbeit und Kosten unter sich aufteilt.

Beim Volksbegehren „Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern“ („Rettet die Bienen!“) gehörten dem Trägerkreis der bayerische Landesverband der ÖDP als Initiator, der Landesbund für Vogelschutz in Bayern (LBV), der bayerische Landesverband von Bündnis 90/Die Grünen und die Gregor Louisoder Umweltstiftung an. Die verschiedenen Mitglieder des Trägerkreises teilten die Arbeiten unter sich auf. Unterstützt wurde der Trägerkreis von einem breiten gesellschaftliches Bündnis, das aus rund 200 Organisationen, Unternehmen, Verbänden und Parteien bestand.iv Wesentlich für den Erfolg war, dass die Kampagne nicht nur in den Städten erfolgte, sondern auch in der Fläche eine Mobilisierung erfolgte. Dabei kam den lokalen Aktionsgruppen eine große Bedeutung zu, ebenso einzelnen starken Bündnispartnern wie dem BUND Naturschutz Bayern (BN), der – nach anfänglichem Zögern – bei seinen 200.000 Mitgliedern per Brief für das Volksbegehren warb.v

Das Volksbegehren – Ansturm auf die Rathäuser

Nach der Zulassung des Volksbegehrens mussten sich mindestens 10% der bayerischen Wahlberechtigten, also fast eine Million Menschen, persönlich in den Rathäusern in Listen eintragen, um das Volksbegehren Artenvielfalt erfolgreich über die nächste Hürde zu heben. Online kann ein Volksbegehren in Bayern nicht unterschrieben werden. Zur Eintragung musste im zuständigen Rathaus der gültige Ausweis vorgelegt werden. Über 1,7 Millionen Bürger, 18,3 % der Wahlberechtigten, haben dies getan. Damit wurde das Volksbegehren Artenvielfalt zur erfolgreichsten Initiative in Bayern seit 1946.vi

Wissen und Emotionen begünstigen den Erfolg des Volksbegehrens

Auch wenn der Trägerkreis des Volksbegehrens seine Forderungen argumentativ unterfüttern musste, war in der Bevölkerung keine mühsame Überzeugungsarbeit nötig. Das hatte verschiedene Gründe: Zum einen war die Bevölkerung durch die weltweit beachteten Befunde des Entomologischen Vereins Krefeld zum Insektenschwund und durch die jedem ersichtliche Verringerung von Insekten an der Windschutzscheibe des Autos für das Problem des Artensterbens sensibilisiert. Zum anderen hatten die vergangenen heißen Sommer zu einer Intensivierung der Debatte über eine Überhitzung des Erdklimas beigetragen. Und schließlich kam das Volksbegehren zu einem Naturschutz-Anliegen nicht aus heiterem Himmel. Vorangegangen war der Versuch des bayerischen Landesverbandes von Bündnis 90 / Die Grünen, unterstützt von dem bayerischen Landesverband der ÖDP, ein Volksbegehren „Betonflut eindämmen – damit Bayern Heimat bleibt“, das jedoch vom Bayerischen Verfassungsgerichtshof aus rechtlichen Gründen nicht zugelassen worden war. Die verweigerte Zulassung mag Gegner des „Flächenfraßes“ mobilisiert haben, zumindest das Volksbegehren zum Artenschutz zu unterstützen. Die Biene war eine Sympathieträgerin, die Emotionen weckte, auch wenn das Artensterben weniger die Honigbiene als vielmehr die Wildbienen und andere Insekten betrifft. So kamen ein ausreichendes Maß an Wissen und ein ausreichendes Maß an Emotionen zusammen, was einen Erfolg begünstigte.vii

Hohe Erfolgswahrscheinlichkeit eines Volksentscheids

Das hohe Unterschriftenquorum stellte zwar eine erhebliche Hürde dar, hatte aber auch seine Vorteile: Mit dem Erfolg haben die treibenden Kräfte des Volksbegehrens bewiesen, dass sie eine große Zahl von Bürgern für ihr Anliegen motivieren können und damit ein ernstzunehmender politischer Akteur sind. Damit wurde ein Erfolg bei einem Volksentscheid realistisch. Das galt umso mehr, als die Christlich-Soziale Union (CSU), die Freien Wähler (FW) und der Bayerische Bauernverband (BBV), die den Zielen des Volksbegehrens kritisch gegenüber standen, aus verschiedenen Gründen nicht in der Lage waren, der Bevölkerung eine überzeugende Gegenposition zu vermitteln. Die Wahrscheinlichkeit eines Erfolges bei einem Volksentscheid war auch deswegen sehr hoch, weil es in Bayern (außer bei Verfassungsänderungen) kein Beteiligungs- oder Zustimmungsquorum gibt und somit die einfache Mehrheit der Ja-Stimmen gereicht hätte.viii

Übernahme des Volksbegehrens durch den Landtag

Angesichts des überwältigenden Erfolgs des Volksbegehrens berief der bayerische Ministerpräsident Markus Söder einen Runden Tisch ein, an dem neben Vertretern des Trägerkreises der Ministerpräsident und weitere Regierungsvertreter, Vertreter des Landtags sowie Vertreter von Verbänden und Organisationen, der Kommunen und der Katholischen Kirche saßen.

Noch bevor die Beratungen abgeschlossen waren, signalisierte Söder, dass die Staatsregierung dem Landtag empfehlen werde, das Volksbegehren zu übernehmen, und zwar in Verbindung mit einem Begleitgesetz („Versöhnungsgesetz“). Beide Gesetze wurden in den Ausschüssen des Landtags beraten und am 17. Juli 2019 vom Landtag verabschiedet.ix

Überprüfung der Umsetzung der Maßnahmen

Weil die in den Gesetzen beschlossenen Maßnahmen auch umgesetzt werden müssen, hat der LBV die Hochschule für Wirtschaft und Umwelt Nürtingen-Geislingen (HfWU) mit einem Monitoring beauftragt. Mit dem von der Hochschule ausgewählten Indikatoren-Set ist 2020 eine erste Bilanz erfolgt. Nun soll über einen Zeitraum von 10 Jahren regelmäßig überprüft werden, ob und inwieweit die beschlossenen Maßnahmen umgesetzt werden.x

i Vgl. https://www.netzwerk-lebendige-demokratie.de/.

ii Vgl. https://www.oedp.de/partei/geschichte/erfolge/volksbegehren-artenvielfalt-rettet-die-bienen; (aufgerufen am 01.04.2023).

iii Vgl. Uwe Kranenpohl, „Rettet die Bienen!“ – Das Volksbegehren ’Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern’, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 310.

iv Vgl. https://www.oedp.de/partei/geschichte/erfolge/volksbegehren-artenvielfalt-rettet-die-bienen; https://www.lbv.de/mitmachen/fuer-einsteiger/volksbegehren-artenvielfalt/ (jeweils aufgerufen am 01.04.2023).

v Vgl. Uwe Kranenpohl, „Rettet die Bienen!“ – Das Volksbegehren ’Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern’, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 321-322.

vi Vgl. https://www.oedp.de/partei/geschichte/erfolge/volksbegehren-artenvielfalt-rettet-die-bienen; (aufgerufen am 01.04.2023).

vii Vgl. Uwe Kranenpohl, „Rettet die Bienen!“ – Das Volksbegehren ’Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern’, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 319-321.

viii Vgl. Uwe Kranenpohl, „Rettet die Bienen!“ – Das Volksbegehren ’Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern’, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 319-321.

ix Vgl. Uwe Kranenpohl, „Rettet die Bienen!“ – Das Volksbegehren ’Artenvielfalt & Naturschönheit in Bayern’, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 312-313; Matthias Rossi, Direkte Demokratie im Detail: Legistische Herausforderungen für Volksinitiativen, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 196-197.

x Vgl. https://volksbegehren-artenvielfalt.de/wp-content/uploads/2021/10/HfWU-Bericht_Monitoring_09.11.2020.pdf; https://volksbegehren-artenvielfalt.de/monitoring/ (jeweils aufgerufen am 14.04.2023).