Das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes von 1993, das dem Schutz der Ungeborenen hohen Rang einräumte, musste vom Gesetzgeber umgesetzt werden. Am 29. Juni 1995 stimmte der Bundestag nach langen Auseinandersetzungen schließlich einem fraktionsübergreifenden Vorschlag von Die Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU)/Christlich-Soziale Union in Bayern (CSU), Freie Demokratische Partei (FDP) und Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) zu. Drei weitere Entwürfe von Bündnis 90/Die Grünen, Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) und einer Gruppe um den CDU-Abgeordneten Hoppe wurden abgelehnt. Der Bundesrat stimmte der Novelle des Abtreibungsrechts am 14. Juli 1995 zu. Das von nun an geltende Abtreibungsrecht kombinierte das Fristenmodell der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) und das Indikationsmodell der Bundesrepublik Deutschland. Die Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs (= Abtreibung) ist in den §§ (= Paragraphen) 218 bis 219b StGB (= Strafgesetzbuch) geregelt.
Grundsätzliche Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruch – bei Ausnahmen
Ein Schwangerschaftsabbruch ist gemäß der 1995 getroffenen Regelung in Deutschland grundsätzlich für alle Beteiligten (schwangere Frau, Ärztin/Arzt, Anstifter, Gehilfe) strafbar. Frauen haben dem Grunde nach also keinen Rechtsanspruch auf die Durchführung eines Schwangerschaftsabbruchs. Allerdings sind Ausnahmen festgelegt, bei denen ein Schwangerschaftsabbruch straffrei bleibt. Nicht als Schwangerschaftsabbruch im Sinne des § 218 StGB gelten Handlungen, deren Wirkung vor Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter eintritt.
Die Ausnahmen von der Strafbarkeit: Beratungsregelung und Indikationen
In § 218a ist geregelt, wann der Schwangerschaftsabbruch (trotz Rechtswidrigkeit) straffrei bleibt. Bei der sogenannten Beratungsregelung ist das der Fall, wenn die Schwangere den Schwangerschaftsabbruch verlangt und dem Arzt durch eine Bescheinigung nachgewiesen hat, dass sie sich mindestens drei Tage vor dem Eingriff hat beraten lassen. Der Schwangerschaftsabbruch muss von einem (approbierten) Arzt vorgenommen werden. Und schließlich dürfen seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sein. Wenn diese Voraussetzungen vorliegen, kann keiner der am Schwangerschaftsabbruch Beteiligten bestraft werden.
Die Modalitäten bezüglich der Beratung sind im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG; formaler Name: Gesetz zur Vermeidung und Bewältigung von Schwangerschaftskonflikten) geregelt.
In den Absätzen 2-3 werden darüber hinaus Indikationen genannt, bei deren Vorliegen ein Schwangerschaftsabbruch nicht rechtswidrig ist. Dabei wird vorausgesetzt, dass der Schwangerschaftsabbruch mit der Einwilligung der Schwangeren erfolgt und von einem Arzt vorgenommen wird. Der Begriff „Indikation“ bezeichnet einen Grund, der einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigt.
In Absatz 2 wird auf die medizinische Indikation eingegangen. So kann unter Berücksichtigung der Lebensverhältnisse der Schwangeren ein Schwangerschaftsabbruch angebracht sein, um eine Gefahr für das Leben oder eine schwerwiegende Gefahr für die Gesundheit der Schwangeren abzuwenden. Voraussetzung ist dabei, dass die Gefahr nicht auf eine andere zumutbare Weise abgewendet werden kann. Auch erhebliche psychische Belastungen im Zusammenhang mit der Schwangerschaft können Grundlage für eine solche medizinische Indikation sein, wenn sie als schwerwiegende Beeinträchtigung des seelischen Gesundheitszustandes aufzufassen sind. Eine zu erwartende Behinderung des Kindes ist als solche – anders als in der alten Fassung des § 218a StGB – kein Indikationsgrund. Denkbar ist allerdings, dass sich aus der zu erwartenden Behinderung eine Gefahr für die Schwangere ergibt, etwa im Fall einer ernsthaften Suizidgefahr. In diesem Fall ist wegen der Gefahr für das Leben der Schwangeren eine medizinische Indikation zu bejahen.
Absatz 3 behandelt die kriminologische Indikation. Eine solche liegt vor, wenn dringende Gründe für die Annahme sprechen, dass die Schwangerschaft auf einer rechtswidrigen Sexualstraftat beruht und seit der Empfängnis nicht mehr als 12 Wochen vergangen sind.
In Absatz 4 geht es abschließend um die Spätabtreibung und besondere Bedrängnis. Rechtswidrig, aber (nur) für die Schwangere straffrei ist demnach ein bis zur 22. Woche seit Empfängnis erfolgter Schwangerschaftsabbruch, wenn er von einem Arzt vorgenommen wird und zuvor eine Beratung nach dem Schwangerschaftskonfliktgesetz stattgefunden hat.
Die „besondere Bedrängnis“ meint eine Notsituation, die eine schwerere Belastung mit sich bringt, als sie in der Regel mit einer Schwangerschaft verbunden ist. Dazu zählt z. B. eine subjektiv ausweglos erscheinende persönliche oder soziale Lage. Bei Vorliegen einer solchen Notsituation kann bei kann bei Abbrüchen durch Laien (medizinisch unerfahrene Personen) ohne Rechtfertigung und ohne Beratung von Strafe abgesehen werden.
Strafbarkeit im Hinblick auf ärztliches Verhalten
Ein Arzt, der einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, darf nicht an der Schwangerschaftskonfliktberatung beteiligt gewesen sein. Bevor er einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, muss er sich laut § 218b die Feststellung eines anderen Arztes, der nicht den Abbruch vornimmt, vorlegen lassen, dass eine medizinisch-soziale oder eine kriminologische Indikation vorliegt. Andernfalls macht er sich strafbar. Auch ein Arzt, der eine unrichtige Feststellung macht, wird bestraft. Ein Arzt darf Feststellungen nicht treffen, wenn ihm dies die zuständige Stelle untersagt hat oder wenn er rechtskräftig wegen eines Vergehens gegen gesetzliche Bestimmungen bezüglich Schwangerschaften verurteilt worden ist.
Ein Arzt, der einen Schwangerschaftsabbruch vornimmt, muss der Frau Gelegenheit geben, ihm die Gründe für ihr Verlangen nach Abbruch der Schwangerschaft darzulegen. Er muss die Schwangere über die Bedeutung des Eingriffs, insbesondere über Ablauf, Folgen, Risiken und mögliche physische und psychische Auswirkungen beraten. Außerdem muss er sich von der Dauer der Schwangerschaft überzeugen und er darf die Frist zwischen Beratung und Eingriff nicht unterschreiten. Verstößt er gegen diese Vorgaben, macht er sich gemäß § 218c strafbar.i
i Zur rechtlichen Lage nach der Wiedervereinigung und zur Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs nach heutigem Recht (Stand 2017) siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Schwangerschaftsberatung § 218, Informationen über das Schwangerschaftskonfliktgesetz und gesetzliche Regelungen im Kontext des § 218 Strafgesetzbuch. Ausführlich zur rechtlichen Lage insbesondere im Hinblick auf die Schwangerschaftsberatung siehe Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Schwangerschaftsberatung § 218, Informationen über das Schwangerschaftskonfliktgesetz und gesetzliche Regelungen im Kontext des § 218 Strafgesetzbuch. Die wesentlichen gesetzlichen Regelungen finden sich auch in Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Strafbarkeit des Schwangerschaftsabbruchs in Deutschland, Sachstand WD 7 – 3000 – 064/17, 7-9 zusammengefasst.