Ärzte haben gegenüber dem Schwangerschaftsabbruch unterschiedliche Ansichten. Von Berufs wegen sind sie aber dem Erhalt des Lebens verpflichtet, nicht der Tötung von Leben. Dieses Berufsethos findet sich im Hippokratischen Eid, im Genfer Ärztegelöbnis und in der (Muster-)Berufsordnung.

Insofern widerspricht es ihrer Gewissensfreiheit, wenn sie zur Durchführung von Abtreibungen verpflichtet werden. Die Gewissensentscheidung kann unterschiedlich ausfallen und unterschiedlich begründet werden. Es gilt, das Wohlergehen der Frau und das Lebensrecht des ungeborenen Kindes abzuwägen. In einer besonderen Notlage, speziell der Gefährdung des Lebens der Frau, Ärzte jedoch angehalten, Nothilfe zu leisten und einen Schwangerschaftsabbruch durchzuführen.

Der Hippokratische Eid

Für das Arztethos ist der Hippokratische Eid grundlegend. Dabei handelt es sich um einen über 2000 Jahre alten Moralkodex, der auf den „Vater der Medizin“ und „Idealtypus eines Arztes“ Hippokrates von Kos (um 460 – um 370 v. Chr.) zurückgeführt wird, dessen Ursprung aber im Dunklen liegt. Möglicherweise ist der Hippokratische Eid im 4. Jh. v. Chr. in einer pythagoräischen Ärztegruppe entstanden. Wie auch immer: Ihm wurde herausragende Bedeutung beigemessen und er wurde in die wichtigste medizinische Textsammlung der Antike, das Corpus Hippocraticum, an der ersten Stelle eingefügt.

Der Hippokratische Eid ist von der Verpflichtung der Ärzte auf das Wohl der Patienten bzw. des Patienten und auf das Gebot der Schadensvermeidung geprägt. Ein Schwangerschaftsabbruch kann zum Wohl einer Patientin sein, beispielsweise wenn durch die Schwangerschaft ihr Leben in Gefahr ist. Allerdings enthält der Eid die Verpflichtung, der Frau kein Abtreibungsmittel zu geben. Dabei dürfte „Abtreibungsmittel geben“ nicht so zu verstehen sein, dass es nur um die Verabreichung bestimmter Mittel geht, die zur Abstoßung des ungeborenen Kindes durch den Mutterleib führen. Auch dürfte nicht gemeint sein, dass kein Abtreibungsmittel verabreicht werden darf, weil das Mittel der Mutter schaden könnte. Vielmehr dürfte ausgesagt sein, dass das Abtreibungsmittel Schaden verursacht, nämlich das Leben des ungeborenen Kindes auslöscht. Insofern widerspricht Abtreibung generell dem Arztethos. Allerdings schließt der Hippokratische Eid nicht aus, das Wohl der Patientin – speziell bei einer Lebensgefahr – und das Wohl des Kindes abzuwägen, sofern ein Konfliktfall vorliegt.

Der Eid des Hippokrates wurde durch das Genfer Ärztegelöbnis abgelöst und wird in seiner klassischen Form heute nicht mehr von Ärzten geleistet. Er hat somit keine Rechtswirkung.i

Das Genfer Ärztegelöbnis

Das Genfer Ärztegelöbnis wurde vom Weltärztebund verfasst. Es wurde erstmals von der 2. Generalversammlung des Weltärztebunds in Genf 1948 verabschiedet und mehrmals revidiert.

In dem Genfer Ärztegelöbnis heißt es: „Die Gesundheit und das Wohlergehen meiner Patientin oder meines Patienten werden mein oberstes Anliegen sein. Ich werde die Autonomie und die Würde meiner Patientin oder meines Patienten respektieren. Ich werde den höchsten Respekt vor menschlichem Leben wahren.“ii Das Wohl der Patientin bzw. des Patienten ist also Leitschnur ärztlichen Handelns. Allerdings geht der Blick mit der Wahrung des höchsten Respektes vor menschlichem Leben über das Wohl der Patientin bzw. des Patienten hinaus und schließt auch ungeborenes Leben ein. Im Gegensatz zum Hippokratischen Eid kommt die Abtreibung nicht ausdrücklich zur Sprache. Das Genfer Ärztegelöbnis verbietet nicht die Verabreichung eines Abtreibungsmittels bzw. die Abtreibung an sich, sondern verpflichtet auf den höchsten Respekt vor menschlichem Leben. Auf dieser Grundlage sind leichtfertige Schwangerschaftsabbrüche ausgeschlossen. Die Abwägung im Konfliktfall ist dagegen möglich und sogar geboten, wenn durch die Schwangerschaft das Wohl der Schwangeren gefährdet ist.

Das Genfer Ärztegelöbnis hat wie der Hippokratische Eid keine rechtlich bindende Wirkung, sondern eher den Charakter eines Vorsatzes, einer Richtschnur für ärztliches Handeln. Ob die angehenden Ärzte einen der beiden Texte im Rahmen einer Abschlussfeier selbst sprechen, hängt von der jeweiligen Universität ab. Eine generelle Regelung gibt es in Deutschland nicht.

Die (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte

Die im Hinblick auf den Hippokratischen Eid und das Genfer Ärztegelöbnis gebotene Deutung findet in der (Muster-)Berufsordnung für die in Deutschland tätigen Ärztinnen und Ärzte ihren Niederschlag. Darin heißt es in § 14 Abs. 1 und 2: „Ärztinnen und Ärzte sind grundsätzlich verpflichtet, das ungeborene Leben zu erhalten. Der Schwangerschaftsabbruch unterliegt den gesetzlichen Bestimmungen. Ärztinnen und

Ärzte können nicht gezwungen werden, einen Schwangerschaftsabbruch vorzunehmen oder ihn zu unterlassen. (2) Ärztinnen und Ärzte, die einen Schwangerschaftsabbruch

durchführen oder eine Fehlgeburt betreuen, haben dafür Sorge zu tragen, dass die tote Leibesfrucht keiner missbräuchlichen Verwendung zugeführt wird.“

Arztrecht fällt in die Länderhoheit. Die (Muster-)Berufsordnung ist von der Bundesärztekammer verfasst, wurde aber von den jeweiligen Landesärztekammern meist mit nur geringen Änderungen übernommen. Und da alle Ärzte in der Bundesrepublik Deutschland Zwangsmitglieder einer Landesärztekammer sind, ist die Berufsordnung für jeden Arzt verpflichtend.iii Die Ahndung von Verstößen gegen das Berufsrecht und die verfahrensrechtliche Ausgestaltung ist in den Heilberufe-Kammergesetzen der Bundesländer geregelt.

Unterschiedliche Positionen in der Ärzteschaft

Die Ärzte für das Leben e. V. wollen in der hippokratischen Tradition das Leben jedes Menschen von der Empfängnis an bis zum natürlichem Tod als unantastbar achten und schützen. In diesem Sinne wollen sie einer Schwangeren niemals ein abtreibendes Mittel geben. Sie wollen entschieden Widerstand leisten gegen alle ihrer Meinung nach verfassungs- und berufsordnungswidrigen „Gesetze“, die das Recht auf Leben sowie die Menschenwürde verletzten und den Arzt zum Gesundheits- und Tötungsfunktionär degradierten. Sie verwahren sich dagegen, dass der ausschließliche Heilungsauftrag der Ärzte zum Tötungsauftrag pervertiert wird und sie Handlangerdienste für die politischen Entscheidungsträger ohne moralische Berechtigung leisten und an der Massentötung ungeborener Kinder mithelfen sollen.iv

Die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) und der Berufsverband der Frauenärzte e. V. (BVF) unterstützen vorbehaltlos und nachdrücklich die Forderung, Frauen in Not zu helfen. Dass ungewollte Schwangerschaften geradezu existentielle Nöte auslösen können, die zu einem Gefühl der Verzweiflung, Hoffnungslosigkeit und des Verlassenseins und im extremen Fall sogar zur Selbsttötung führen, erführen ihre Mitglieder häufig ganz persönlich und hautnah in ihrem beruflichen Leben. Die gegenwärtig geführte Diskussion um Schwangerschaftsabbrüche sei nach der festen Überzeugung und Erfahrung der beiden Verbände aber zu einseitig, ideologisch verkürzt und eingeengt und lasse oft die differenzierte Auseinandersetzung vermissen. Kein Embryo oder Fetus lasse sich gegen den Willen der Mutter retten. Man müsse die Schwangere gewinnen, ihre Notlage lösen, um einen Schwangerschaftsabbruch zu verhindern. Das sei nicht mit Verboten möglich, sondern nur mit verständnisvollen, empathischen und nachhaltigen Hilfsangeboten, welche der teilweise als existentiell empfundenen Bedrohung der Frauen gerecht werden. Ein Schwangerschaftsabbruch solle nicht als eine Frage der sexuellen Selbstbestimmung der Frau interpretiert werden. Ein Schwangerschaftsabbruch sei eine Nothilfe, wenn Verhütung versagt hat, eine medizinische Indikation vorliegt oder die Schwangerschaft auf einem Sexualdelikt, zum Beispiel einer Vergewaltigung, beruht.v

Doctors for Choice Germany ist der Meinung, dass alle Menschen das Recht haben sollten, ihre Sexualität frei auszuleben, solange dies einvernehmlich geschieht und Dritte dabei nicht gestört werden. Bei einer ungewollten Schwangerschaft sollten sie das Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch haben. Der Schwangerschaftsabbruch sei zu entkriminalisieren, denn es handele sich dabei nicht um eine Straftat, sondern um eine Gesundheitsleistung. Diese sei – ebenso wie Verhütungsmittel – von den gesetzlichen Krankenkassen zu bezahlen, und zwar als medizinischer Eingriff, dessen Zugänglichkeit Menschenleben rettet und die Müttersterblichkeit drastisch senkt.vi

Alle drei Sichtweisen haben durchaus etwas Richtiges an sich, geben aber nicht die ganze Wahrheit wieder. Dass Ärzte grundsätzlich dem Leben und damit auch den Ungeborenen verpflichtet sind, geht klar aus dem Hippokratischen Eid, dem Genfer Ärztegelöbnis und der Berufsordnung hervor. Kein Arzt darf zum Schwangerschaftsabbruch gezwungen werden. Allerdings sind Ärzte zugleich dem Wohl der Schwangeren verpflichtet. Insofern sind Schwangerschaftsabbrüche nicht grundsätzlich mit dem Arztethos unvereinbar, sofern sie eine Antwort auf eine Konfliktsituation sind. Konfliktsituationen kommen häufig vor. Schwangerschaftsabbrüche, die daraus resultieren, können also als Nothilfe für die Schwangere verstanden werden. Allerdings deckt diese Deutung nicht alle Fälle ab. Ungewollte Schwangerschaften, die aus leichtfertigem sexuellem Verhalten resultieren und/oder in der Annahme vorgenommen werden, dass die Frau in jedem Fall ein Recht auf einen Abbruch habe, lassen sich schlechterdings als eine Notlage deklarieren. Es gibt auch kein Recht auf einen Schwangerschaftsabbruch, denn ein solches würde das Lebensrecht des ungeborenen Kindes aushebeln. Die Definition, wonach es sich beim Schwangerschaftsabbruch um eine Gesundheitsleistung handele, negiert das Lebensrecht des ungeborenen Kindes und degradiert es zu einem bloßen Zellhaufen oder Organ der Frau. Allerdings kann man der Frau in ganz bestimmten Situationen ein Recht auf den Schwangerschaftsabbruch zugestehen, nämlich dann, wenn das Leben der Schwangeren bedroht ist oder die Schwangerschaft aus einer Verletzung des sexuellen Selbstbestimmungsrechtes der Frau resultiert, also aus einem von der Frau erzwungenen Geschlechtsverkehr. In allen Fällen, in denen die Schwangerschaft die Gesundheit der Frau gefährdet, ist die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs eine Gesundheitsleistung.

Die öffentliche Liste der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen

Seit der Ergänzung des § 219a als Kompromiss der Fraktionen der CDU/CSU und SPD im Jahr 2019 gibt es eine von der Bundesärztekammer zentral geführte Liste mit Ärzten sowie Krankenhäusern und Einrichtungen, die mitgeteilt haben, dass sie Schwangerschaftsabbrüche unter den Voraussetzungen des § 218a Absatz 1 bis 3 StGB durchführen. Diese Liste enthält auch Angaben über die dabei jeweils angewendeten Methoden. Der Deutsche Ärztetag wies bereits im Jahr 2018 darauf hin, dass die anerkannten Beratungsstellen zu verpflichten seien, jede Frau, die sich nach der

ergebnisoffenen Beratung für einen Schwangerschaftsabbruch entscheidet, auch darüber zu informieren, welche Ärzte in erreichbarer Nähe Schwangerschaftsabbrüche durchführen. Dazu gehöre auch die Erläuterung, mit welchen Verfahren der Schwangerschaftsabbruch bei diesen Ärzten erfolgen kann.vii

In diese Liste haben sich viele Ärzte eintragen lassen. Allerdings reicht deren Zahl nicht aus, um den Bedarf zu decken. Ungewollt schwangere Frauen haben daher entweder keine Auswahl – sei es zwischen Ärzten, die Abbrüche vornehmen, oder zwischen verschiedenen Abbruchsmethoden – oder sie müssen weit fahren, um eine Abtreibung vornehmen zu lassen. Das ist insofern problematisch, als es (gemäß §13 Abs. 2 SchKG = Schwangerschaftskonfliktgesetz) Aufgabe der Länder ist, ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen sicherzustellen.

Die fehlende Deckung des Bedarfs lässt sich wie folgt erklären: Zum einen will ein Teil der Ärzte keine Schwangerschaftsabbrüche durchführen, zum anderen möchten Ärzte nicht öffentlich von Abtreibungsgegnern als „Abtreibungsärzte“ dargestellt und bedroht werden. Diesbezüglich fordert die Ärzteschaft ausreichenden Schutz, zumal die überdurchschnittlich zu Schwangerschaftsabbrüchen bereite 1968er-Generation in den Ruhestand geht.viii

Die Ausbildung im Hinblick auf Schwangerschaftsabbrüche

Doctors for Choice Germany kritisiert, dass der Schwangerschaftsabbruch zwar einer der häufigsten gynäkologischen Eingriffe sei, aber im Medizinstudium an vielen Universitäten kaum oder nur in den Fächern Medizinethik (Spätabbrüche) oder Medizinrecht thematisiert werde. Er sei kein Pflichtbestandteil der gynäkologischen Weiterbildung. In der Muster-Weiterbildungsordnung werde die Vakuumaspiration – die Methode der Wahl für Fehlgeburten und Schwangerschaftsabbrüche – nicht genannt. Ebenso werde die medikamentöse Entleerung des schwangeren Uterus zur Behandlung von Fehlgeburten und ungewollten Schwangerschaften bis zur 9. Schwangerschaftswoche dort nicht erwähnt. 12,2 % der Abbrüche in Deutschland würden immer noch mit der Kürettage (Ausschabung), einer von der WHO als veraltet und weniger sicher klassifizierten Methode, durchgeführt. Für Fehlgeburten sei ein mindestens genau so hoher Anteil anzunehmen. In sehr vielen Lehrkrankenhäusern würden gar keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt. Fehlgeburten würden in den Kliniken äußerst selten medikamentös behandelt. Dies bedeute, dass frühe medikamentöse Abbrüche nur erlernt werden können, wenn Ärzte gezielt einen Teil ihrer Weiterbildungszeit in einer Praxis absolvieren, in welcher medikamentöse Abbrüche durchgeführt werden.ix

Auf dem Hintergrund dieser Kritik ist die Forderung des Bündnisses für sexuelle Selbstbestimmung nach „Ausbildung in den Methoden des Schwangerschaftsabbruchs in den Studiengängen für Medizin“ zu verstehen.

In dem Koalitionsvertrag der Regierungsparteien SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP heißt es: „Wir aktualisieren das Konzept zur Fortentwicklung der Qualifizierung von Ärztinnen und Ärzten, um auch medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche leichter verfügbar zu machen.“ Und außerdem: „Wir stellen Versorgungssicherheit her. Schwangerschaftsabbrüche sollen Teil der ärztlichen Aus- und Weiterbildung sein.“

Die Ärztekammer Westfalen-Lippe merkt an, dass das von den Koalitionspartnern geplante aktualisierte Konzept zur Fortentwicklung der Qualifizierung von Ärzten, um auch medikamentöse Schwangerschaftsabbrüche leichter verfügbar zu machen, bereits bestehe und sich „Ärztliche Weiterbildung“ nenne. Die Probleme beim medikamentösen Schwangerschaftsabbruch beruhten nicht auf einer fehlenden Qualifizierung der Ärzteschaft.x

Laut Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) sei bereits sichergestellt, dass im Rahmen der Weiterbildung auch die Fertigkeit vermittelt wird, Schwangerschaftsabbrüche vorzunehmen. Die Technik eines solchen Eingriffs sei nämlich mit der Entleerung der Gebärmutter bei gestörten, nicht entwicklungsfähigen Schwangerschaften – sogenannten Fehlgeburten – identisch. Jede Fachärztin und jeder Facharzt für Frauenheilkunde und Geburtshilfe erlerne diese Techniken im Rahmen der Ausbildung. Speziell seien jedoch die rechtlichen und ethischen Rahmenbedingungen, da im Falle eines Schwangerschaftsabbruchs ein vitaler Embryo aus der Gebärmutter entfernt werde. Bereits während des Medizinstudiums würden im Rahmen des vorgegebenen Gegenstandskataloges allen Studierenden die rechtlichen und medizinischen Grundlagen des Schwangerschaftsabbruches vermittelt.xi

Diese Position überzeugt aber nicht alle: Die Einleitung einer Fehlgeburt sei zwar einem Schwangerschaftsabbruch ähnlich, aber mit diesem nicht identisch. Und wer keine Gelegenheit zum Schwangerschaftsabbruch habe, gehe dafür eben in liberalere Länder wie die Niederlande oder Großbritannien. Und manche brächten sich den Schwangerschaftsabbruch selbst bei.

Der Streit um die Verpflichtung zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen als Einstellungsvoraussetzung

Um dem Mangel an Ärzten, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, abzuhelfen, wird verschiedentlich gefordert, die Bereitschaft zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen an Universitätskliniken zur Einstellungsvoraussetzung zu machen. Gegen dieses Ansinnen gibt es aber innerhalb der Ärzteschaft Widerstand. Zwar gibt es innerhalb der Ärzteschaft durchaus unterschiedliche Einstellungen zum Schwangerschaftsabbruch, jedoch werden zwei gewichtige Gründe gegen dieses Ansinnen vorgebracht: Die einen weisen darauf hin, dass der Erhalt menschlichen Lebens für das Arztethos grundlegend sei. Schwangerschaftsabbrüche seien mit diesem nicht zu vereinbaren und dürften folglich nicht zu einer Einstellungsvoraussetzung gemacht werden.xii Andere betonen, dass die Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen eine persönliche Entscheidung sei. Dieses Recht auf die persönliche Entscheidung könne nicht als Voraussetzung für einen Arbeitsvertrag entzogen werden. Das gelte auch für Menschen, welche an einer Universitätsklinik arbeiten wollen oder eine akademische medizinische Laufbahn anstreben. Ärzten das Recht zuzugestehen, frei und fallbezogen zu entscheiden, habe nichts mit einer Einschränkung der Selbstbestimmung der Schwangeren zu tun, sondern vielmehr mit dem Recht auf die eigene Selbstbestimmung.xiii

Dem entspricht § 12 SchKG, wonach niemand verpflichtet ist, an einem Schwangerschaftsabbruch mitzuwirken. Dies gilt nur dann nicht, wenn die Mitwirkung notwendig ist, um von der Frau eine anders nicht abwendbare Gefahr des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung abzuwenden.

Die Forderung nach einer Reform des Verweigerungsrechts für Gesundheitspersonal

Die Sichtweise, dass es sich bei Schwangerschaftsabbrüchen um eine Gesundheitsleistung handele, bringt die Forderung nach einer Reform des Verweigerungsrechts für Gesundheitspersonal mit sich:

Laut Doctors for Choice e. V. sei in § 12 Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG) und § 14 der ärztlichen Musterberufsordnung geregelt, dass Ärzte und anderes Gesundheitspersonal die Durchführung von Abbrüchen aus moralischen Gründen verweigern dürfen. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gebe es zudem keine Verpflichtung für Verweigerer, die Versorgung ihrer Patienten dennoch sicherzustellen. Ein höchstpersönliches Verweigerungsrecht könne allerdings nur so lange bestehen bleiben, wie die Versorgung gesichert ist. Sich der Durchführung einer medizinischen Behandlung zu verweigern, für die man explizit ausgebildet wurde, solle nicht normalisiert werden. Daher solle eine schriftliche Meldung – gegebenenfalls unter Angabe der Gründe – erforderlich sein und eine Registrierung (z.B. bei der Ärztekammer) erfolgen. So wäre auch der Anteil der Verweigerer bekannt. Diese sollten im Sinne eines “eingeschränkten Verweigerungsrechts” verpflichtet werden:
– alle nötigen Vor- und Nachuntersuchungen durchzuführen
– umfassend und wertneutral über alle Behandlungsmöglichkeiten zu informieren
– an Kollegen weiter zu verweisen, die die Behandlung durchführen können
Ein großes Problem für die Versorgung und Weiterbildung stelle die rechtlich nicht zulässige, aber leider vielerorts praktizierte, institutionelle Weigerung ganzer Krankenhäuser dar, Abbrüche durchzuführen. Dies solle durch eine Neuregelung explizit verboten sowie Konsequenzen bei Nichtbeachtung formuliert werden.xiv

i Vgl. Urban Wiesing, Der Hippokratische Eid, in: U. Wiesing [Hrsg.], Ethik in der Medizin: ein Studienbuch, Stuttgart, 5., erw., aktual. u. vollst. durchges. Aufl. 2020, 38-44.

ii https://flexikon.doccheck.com/de/Genfer_%C3%84rztegel%C3%B6bnis (aufgerufen am 16.02.2022).

iii Vgl. Urban Wiesing, Die Berufsordnung, in: U. Wiesing [Hrsg.], Ethik in der Medizin: ein Studienbuch, Stuttgart, 5., erw., aktual. u. vollst. durchges. Aufl. 2020, 75-79 (auf S. 80-94 der angehängte Wortlaut der Muster-Berufsordnung in gekürzter Fassung).

iv Vgl. https://aerzte-fuer-das-leben.de/fachinformationen/schwangerschaftsabbruch-abtreibung/unsere-positionen/ (Position von Ärzte für das Leben e. V.) (aufgerufen am 30.01.2023).

v Vgl. https://www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten/gesetzesinitiative-zur-aufhebung-des-werbeverbots-fuer-schwangerschaftsabbrueche-staerkt-informationsrechte-fuer-frauen-und-aerztinnen (Position von Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und Berufsverband der Frauenärzte e. V.); https://www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten/zur-forderung-die-bereitschaft-zu-schwangerschaftsabbruechen-als-einstellungsvoraussetzung-festzulegen (Position von Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und Berufsverband der Frauenärzte e. V.) (jeweils aufgerufen am 16.02.2022).

vi Vgl. https://doctorsforchoice.de/ueber/forderungen/ (Forderungen von Doctors for Choice Germany) (aufgerufen am 16.02.2022).

vii Vgl. Bundesärztekammer, 121. Deutscher Ärztetag Schwangerschaftsabbruch: Werbeverbot beibehalten, Beratungs- und Hilfsangebote stärken (Pressemitteilung).

viii Vgl. Landesärztekammer Berlin, Gitter: Gesetzgeber muss Ärztinnen und Ärzte vor Anfeindungen durch Abtreibungsgegner schützen (Pressemitteilung).

ix Vgl. https://doctorsforchoice.de/ueber/forderungen/ (Forderungen von Doctors for Choice Germany) (aufgerufen am 16.02.2022).

x Vgl. Ärztekammer Westfalen-Lippe, ÄKWL positioniert sich zur geplanten Gesundheitspolitik der neuen Bundesregierung (Pressemitteilung); https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/45_min/Konflikt-Abtreibung-Wie-Aerztinnen-und-Aerzte-entscheiden,sendung1178700.html .

xi https://www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten/zur-forderung-die-bereitschaft-zu-schwangerschaftsabbruechen-als-einstellungsvoraussetzung-festzulegen (Position von Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und Berufsverband der Frauenärzte e. V.) (aufgerufen am 16.02.2022).

xii Schlussfolgerung, die sich aus https://aerzte-fuer-das-leben.de/fachinformationen/schwangerschaftsabbruch-abtreibung/unsere-positionen/ (Position von Ärzte für das Leben e. V.) (aufgerufen am 30.01.2023) ergibt.

xiii Vgl. https://www.dggg.de/presse/pressemitteilungen-und-nachrichten/zur-forderung-die-bereitschaft-zu-schwangerschaftsabbruechen-als-einstellungsvoraussetzung-festzulegen (Position von Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. und Berufsverband der Frauenärzte e. V.) (aufgerufen am 16.02.2022). Ähnlich die Stellungnahme des Berufsverband der Frauenärzte e.V. (BVF) vom 09.10. 2023 zur Frage, ob und wenn ja, unter welchen Voraussetzungen eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs möglich ist.

xiv Vgl. Stellungnahme von Doctors for Choice Germany e.V. für eine gesetzliche Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs an Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin.