Der Vater des Kindes ist nicht unmittelbar mit der Schwangerschaft konfrontiert, muss nicht die körperlichen Veränderungen und Schmerzen ertragen. Dennoch ist auch er von der Schwangerschaft mitbetroffen. Er kann mitfühlen und ist ebenfalls verpflichtet, nach der Geburt für das Kind zu sorgen. Daher sollte er in die Entscheidung über einen möglichen Abbruch einer Schwangerschaft einbezogen werden. Andernfalls besteht die Gefahr, dass die Partnerschaft bzw. Ehe belastet wird und das Kind schädigende Zurückweisung erfährt.

Der Mann darf gegenüber einer bzw. seiner Frau nicht sexuell übergriffig werden, also das sexuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau verletzen. Das gilt jedoch auch für die Frau, denn auch der Mann hat ein Recht auf sexuelle Selbstbestimmung. Und weil auch das Ungeborene ein Recht auf Menschenwürde und Leben hat, darf der Mann seine Frau nicht zu einer Abtreibung nötigen.

Die Außensicht des Vaters auf die Schwangerschaft

Männer (mit Ausnahme von trans Männern) können weder schwanger werden noch Kinder gebären. Somit erfahren sie nicht am eigenen Leib die Freuden und Ängste, die eine Schwangere verspürt. Durch diese fehlende leibliche Erfahrung ist ihr Verhältnis zum Kind meist nicht so unmittelbar und intensiv. Das bedeutet nicht, dass Männer durch die Schwangerschaft ihrer Partnerin bzw. Ehefrau keine intensive Beziehung zum Kind aufbauen können. Das bedeutet nur, dass sie der Mann nicht durch die unmittelbaren leiblichen und emotionalen Erfahrungen während der Schwangerschaft entwickelt. Die Erfahrungen des Mannes sind mittelbarer Art, rühren von der Anteilnahme am Ergehen seiner Partnerin bzw. Ehefrau her.

Der Mann zeugt ein Kind mittels seines Samens. Ist der Geschlechtsverkehr erfolgt, ist auch sein unmittelbares körperliches Erleben im Hinblick auf die Schwangerschaft beendet. Wenn der Mann seine schwangere Frau verlässt, verlässt er zugleich das ungeborene Kind. Eine schwangere Frau kann das ungeborene Kind nicht verlassen. Sie sich des Kindes nur durch einen Schwangerschaftsabbruch entledigen. Dieser Sachverhalt ist der entscheidende Grund für die Entstehung der Institution Ehe. Wenn es früher zum Geschlechtsverkehr kam und die Frau schwanger wurde und ein Kind gebar, war klar, wer die Mutter des Kindes war. Unklar war jedoch, wer der Vater des Kindes war. Um diese Unklarheit zu beseitigen, wurde der Mann mittels der Ehe fest an seine Frau gebunden. Die aus der Ehe entspringenden Kinder wurden als legitim angesehen. Legitime Kinder hatten ihren Eltern gegenüber besondere Rechte und Pflichten. Wenn ein fremder Mann in diese Ehe eintrat, war das schlimm, weil damit die Ordnung gestört wurde. Bis in die 1970er Jahre galt bei unehelichen Kindern, dass sie keinen Vater hatten, weil dieser unbekannt war (vgl. § 1589 Abs. 2 BGB alte Fassung: „Ein uneheliches Kind und dessen Vater gelten als nicht verwandt.“). Die Nachfolge war gestört und den illegitimen Kindern kamen nicht dieselben Rechte und Pflichten wie den illegitimen Kindern zu. Erst mit dem Aufkommen der Vaterschaftstests konnte der Vater zweifelsfrei bestimmt werden und der Charakter der Ehe änderte sich.

Der Mann und die sexuelle Selbstbestimmung der Frau

Schon in der Antike wurde die Ehe als eine Inbesitznahme der Frau und ihrer Geschlechtsorgane verstanden, über die der Mann von nun an „Herr“ war. Wenn aus der Ehe Kinder entstanden, war klar, dass der Ehemann der Vater war. Dadurch, dass die Frau schwanger wurde und Kinder gebar, wurde sie ganz natürlich mit der Aufzucht und Erziehung der Kinder und auch mit der Haushaltsführung verbunden. Das öffentliche Leben war zumeist den Männern vorbehalten. Mit dieser Rollenaufteilung ging oftmals die Unterdrückung und Benachteiligung der Frauen einher, denen bestimmte Bildungswege und Tätigkeiten untersagt wurden. Gegen die Unterdrückung und Benachteiligung der Frau wandte sich schließlich die feministische Bewegung, die bis heute aktiv ist.

Die „sexuelle Selbstbestimmung“ der Frau ist ein Verteidigungsrecht. Im Hinblick auf den Mann bedeutet das, dass der Mann nicht über ihre Sexualität bestimmen darf. Er darf sie zu keiner sexuellen Handlung nötigen und er darf sie nicht misshandeln. Die Frau allein hat das Recht, über ihre Sexualität zu entscheiden.

Sexuelle Selbstbestimmung des Mannes

In den §§ 174-184 führt das Strafgesetzbuch Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auf. Das Recht auf sexuelle Selbstbestimmung steht dabei nicht nur den Frauen zu, sondern im Prinzip allen Menschen. Die vom Strafgesetzbuch ausdrücklich genannten Personengruppen – z. B. Kinder und Gefangene – schließen Menschen in einem Abhängigkeitsverhältnis ein. Es wird ein besonderes Schutzbedürfnis angenommen. Kinder sind von ihren Eltern und auch anderen Erwachsenen abhängig und bedürfen schon wegen ihrer noch nicht voll ausgebildeten körperlichen und geistigen Reife des besonderen Schutzes vor sexuellen Übergriffen. Gefangene sind den Gefängniswärtern unterstellt. Von dieser Seite sind sexuelle Übergriffe nicht ausgeschlossen. Besonderen Schutz bedürfen die Gefangenen aber auch vor ihren Mitgefangenen, von denen sexuelle Übergriffe drohen. Das gesamte Geschlecht der Männer ist aber nicht besonders schutzbedürftig und braucht nicht eigens genannt zu werden. Aber auch wenn sexuelle Übergriffe von Frauen oder anderen Geschlechtern nicht ausgeschlossen sind, sind sie eher die Ausnahme. Dennoch steht auch den Männern sexuelle Selbstbestimmung zu.

Es wird deutlich: Sexuelle Selbstbestimmung ist kein Freibrief für beliebige sexuelle Handlungen. Stets müssen die Rechte anderer Menschen respektiert werden. Sexuelle Selbstbestimmung der Männer schließt sexuelle Übergriffe gegenüber Frauen, Kindern, Gefangenen usw. aus. Ebenso schließt sexuelle Selbstbestimmung der Frauen sexuelle Übergriffe gegenüber Männern, Kindern, Gefangenen usw. aus.

Sexuelle Selbstbestimmung und der Schutz der Ungeborenen

Auch den Ungeborenen stehen Menschenrechte zu, eben weil sie – selbst wenn der Beginn ihres Menschseins umstritten ist – Menschen sind. Die Würde des Menschen ist unantastbar. Und jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Insofern darf sexuelle Selbstbestimmung nicht den Schutz der Ungeborenen aushebeln. Die sexuelle Selbstbestimmung jedes Menschen ist zu respektieren. Dies hat der Gesetzgeber durchzusetzen. Wenn aber die sexuelle Selbstbestimmung durchgesetzt wird und gewahrt bleibt, dann gibt es keinen Grund, den Schutz der Ungeborenen zu missachten. Ein Mann darf nicht die Frau zu einer sexuellen Handlung nötigen. Er darf aber auch nicht einen Schwangerschaftsabbruch fordern (vgl. § 240 StGB, wo eine solche Nötigung als „schwere Nötigung“ bezeichnet wird). Sofern eine Frau nicht zu einer sexuellen Handlung genötigt worden ist, darf sie ebenfalls nicht nach Belieben einen Schwangerschaftsabbruch verlangen. Es kann verschiedene Gründe geben, die einen Schwangerschaftsabbruch rechtfertigen und Straffreiheit rechtfertigen. Ein grundsätzliches „Recht auf Abtreibung gibt es also nicht, denn es würde eine unzulässige Diskriminierung der Ungeborenen darstellen. Es gibt nur ein „Recht auf Abtreibung“, wenn die Schwangerschaft auf Zwang oder gar Gewaltanwendung zurückzuführen ist.

Der Mann trägt – wie jeder Mensch – Verantwortung dafür, dass kein anderer Mensch durch sein Handeln geschädigt wird. Verantwortungsbewusste Sexualität respektiert die Würde, die körperliche Unversehrtheit und das Lebensrecht des anderen Menschen. Das vermeidet Konfliktsituationen, zu denen letztendlich auch Schwangerschaftskonflikte gehören, und dient sowohl der Frau als auch dem ungeborenen Kind.

Zu einer verantwortungsbewussten Sexualität tragen mit Bedacht gewählte zwischenmenschliche Beziehungen, ein ungehinderter Zugang zu Verhütungsmitteln, Sexualaufklärung und Informationen über die Entwicklung eines Kindes bei.

Psychische Folgeerscheinungen des Schwangerschaftsabbruchs

Ein Schwangerschaftsabbruch kann auch die Psyche des Mannes belasten, auch wenn er nicht derjenige ist, der ihn vornimmt oder an sich vornehmen lässt. Die psychischen Folgen ähneln denen der Frau, wobei der Mann sie meist weniger offenbart als die Frau. Am leichtesten ist der Schwangerschaftsabbruch zu verarbeiten, wenn er im gegenseitigen Einvernehmen von Mann und Frau erfolgt ist. Das Konfliktpotenzial erhöht sich, wenn eine der beiden Seiten – meist ist es der Mann – auf den Schwangerschaftsabbruch gedrängt hat. Dann wird auch die Partnerschaft bzw. Ehe in besonderem Maße belastet. Auch wenn jemand aus der Verwandtschaft oder dem Freundeskreis des Mannes oder Frau zum Schwangerschaftsabbruch gedrängt hat, ist großes zwischenmenschliches Konfliktpotenzial gegeben. Auch bezüglich der psychischen Folgeerscheinungen bei dem Mann gilt, dass sie auf den Schwangerschaftsabbruch zurückgehen können oder auf den äußeren Druck infolge eines Schwangerschaftsabbruchs.i

Die Geburt eines unerwünschten Kindes als besondere Herausforderung

Mindestens rechtlich gesehen ist es nicht der Vater, der darüber entscheidet, ob das Kind ausgetragen wird oder nicht, sondern die Mutter. Wenn es sich um ein kurzes Liebesabenteuer handelte, kann der Mann vor der Geburt des Kindes über alle Berge sein. Und selbst wenn es sich um den Ehemann oder um den dauerhaften Partner handelt, ist er nicht in gleichem Maße mit den körperlichen, persönlichen, beruflichen und finanziellen Folgen der Geburt konfrontiert wie die Mutter. Der Vater ist auch nicht unbedingt bei der Schwangerschaftskonfliktberatung dabei. Aber gerade weil er nicht in gleichem Maße in die Beratung einbezogen ist und letztendlich auch nicht entscheidet, kann die Geburt eines unerwünschten Kindes zu einer Ohnmachtserfahrung werden – zumal es tendenziell eher die Mutter ist, die sich für das Kind entscheidet, als der Vater. Das belastet die Beziehung. Auch ist es unter solchen Bedingungen eine große Herausforderung, die Vaterschaft anzunehmen und sich verantwortungsbewusst um das Kind zu kümmern. Ein gefühlskalter und/oder überforderter Vater tut weder seiner Frau bzw. Partnerin gut noch seinem Kind. Insofern verbietet es sich, schwarz-weiß zu malen, nach dem Motto: Abtreibung ist schlecht, das Austragen des Kindes gut. Die Realität ist sehr vielgestaltig. Auch wenn der Vater nicht so direkt von Schwangerschaft und Geburt betroffen ist wie die Mutter, darf seine Sichtweise nicht aus dem Blick geraten.

i Zu den psychischen Folgen siehe Maria Simon; Danach – Die psychischen Folgen der Abtreibung, in: P. Hoffacker u. a. [Hrsg.], Auf Leben und Tod: Abtreibung in der Diskussion, Bergisch Gladbach, 5., völlig neu bearb. und erhebl. erw. Aufl. 1991, 94-111; Irene Schlingensiepen-Brysch, Schwangerschaftsabbruch – Versuch einer Bestandsaufnahme, in: P. Hoffacker u. a. [Hrsg.], Auf Leben und Tod: Abtreibung in der Diskussion, Bergisch Gladbach, 5., völlig neu bearb. und erhebl. erw. Aufl. 1991, 70-93; Detlev Katzwinkel [Hrsg.], Das Kind, das ich nie geboren habe: Was nach einer Abtreibung geschehen kann. Erfahrungsberichte, Fakten und Informationen, Witten 2007; https://www.familienplanungszentrum.de/angebote/schwangerschafts-abbruch/psychische-folgen/; https://www.profemina.org/de-de/abtreibung/psychische-seelische-folgen (jeweils aufgerufen am 07.02.2022). Eine Bestandsaufnahme der Situation in der Schweiz bietet Michèle Minelli, Tabuthema Abtreibung: Informationen, Fakten, Adressen, Bern – Stuttgart – Wien 2000.