In Deutschland setzen sich in den Fächern Tiermedizin, Medizin und Biologie Lehrmethoden, die ohne Tierversuche auskommen, nur langsam durch. Eine größere Offenheit für solche Lehrmethoden sehen die Ärzte gegen Tierversuche e. V. in Osteuropa, wo sie verschiedene Projekte durchführen.

Überzeugungsarbeit in Usbekistan und Kirgisien

In den Monaten Mai und Juni 2012 reisten Dimitrij Leporskij, Partner von Ärzte gegen Tierversuche e. V. bei deren erfolgreichen Ukraine-Projekten, und Nick Jukes, Koordinator des internationalen Netzwerkes für humane Ausbildung InterNICHE, fünf Wochen lang durch die beiden zentralasiatischen Länder Usbekistan und Kirgisien. Im Gepäck hatten sie 130 Kilogramm Vorführmaterial wie Computersoftware, DVDs und Modelle. Dabei hatten Sie ein klares Ziel im Blick: Universitätsprofessor/innen sowie deren Mitarbeiter/innen der beiden ehemaligen Sowjetstaaten sollten von den Möglichkeiten tierversuchsfreier Lehre überzeugt werden. Bisher waren teils grausame Tierversuche Gang und Gäbe – das sollte sich nun ändern.

Acht Universitäten besuchten Leporskij und Jukes auf ihrer Reise und überall stießen sie auf großes Interesse. Nun galt es, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass sich tierversuchsfreie Lehrmethoden etablieren konnten.

Ausreichende Ausstattung als Voraussetzung für Lehre ohne Tierleid

In den Universitäten von Usbekistan fanden Leporskij und Jukes eine recht gute und moderne Ausstattung mit Hardware vor. So besaß die Agrarwissenschaftliche Universität in der usbekischen Hauptstadt Taschkent ein nagelneues und hochmodernes Kommunikationszentrum inklusive eines Computersaals mit 100 Computern. Veranstaltungen konnten mittels Konferenzschaltung an Universitäten im ganzen Land übertragen werden. Perfekte Voraussetzungen für einen Umstieg auf eine tierfreundliche Lehre. Anders als an den oft ärmlich ausgestatteten Universitäten in der Ukraine, brauchte hier also keine Hardware gesponsert zu werden. Nur die entsprechende Software mussten die Ärzte gegen Tierversuche e. V. und InterNICHE bereitstellen.

In Kirgisien waren die Universitäten aufgrund der schlechten wirtschaftlichen Lage des Landes bei weitem nicht so gut ausgestattet wie in Usbekistan. An der Staatlich-Kirgisischen Medizinischen Akhunbaev-Akademie in der kirgisischen Hauptstadt Bischkek verzichtete man aus finanziellen Gründen auf einen Teil der sonst üblichen Tierversuche und setzte stattdessen digitalisierte alte sowjetische Lehrfilme ein. Recht gut ausgestattet waren die kirgisischen Universitäten mit Modellen. Dabei profitierte die Medizinische Akhunbaev-Akademie von einem jahrelangen Aufenthalt des „Plastinators“ und Machers der weltberühmten Körperwelten-Ausstellung, Gunther von Hagens, in Bischkek. 1996 hatte von Hagens am Anatomischen Institut der Akademie ein Plastinationszentrum gegründet und 1999 war er zum Ehrenprofessor ernannt worden. Nach seinem dortigen Wirken hatte er der Akademie einen Fundus mit plastinierten Exponaten hinterlassen – ideal für eine medizinische Hochschule.

Die Reise diente insbesondere der Vorstellung von Lehrmaterialien, die Tierversuche zu ersetzen vermögen. Insbesondere Computerprogramme, Lehrfilme und Tiermodelle wurden vorgestellt. Besonders beliebt war der Modellhund Jerry, an dem Herz- und Lungenerkrankungen nachgeahmt oder Maßnahmen bei Notfallsituationen trainiert werden können. Infolge der auf der Reise geknüpften Kontakte wurden mit Hochschullehrer/innen Verträge geschlossen, so wie es die Ärzte gegen Tierversuche e. V. seit 2008 in der Ukraine praktizieren. Die Institutsleiter/innen verpflichteten sich dann, alle Tierversuche in der studentischen Ausbildung einzustellen und erhielten im Gegenzug die erforderlichen Lehrmittel. Ergänzt werden die Materialien durch die Möglichkeit, das internationale Leihsystem für Lehrmaterial von InterNICHE zu nutzen.

2014 reiste Leporskij – diesmal allein – erneut nach Usbekistan und Kirgisien, um die vorhandenen Kontakte aufzufrischen, an weiteren Universitäten Lehrmaterialien vorzuführen und die Einhaltung der geschlossenen Verträge zu kontrollieren. Auch diesmal stieß er auf offene Ohren und er konnte auch neue Verträge schließen. Allerdings bedurfte es manchmal einiger Mühe: So hatten sich in der Medizinischen Hochschule in Osch die Hochschullehrer/innen seit dem letzten Besuch nicht zu einer Entscheidung durchringen können, obwohl ihnen von Hagens nach seinem Aufenthalt in Kirgisien eine beachtliche Sammlung anatomischer Plastinate hinterlassen hatte. Ein Grund für die ausbleibende Entscheidung mag gewesen sein, dass die Menschen in dem Land andere Prioritäten als ein Studium ohne Tierversuche hatten. Nach Leporskijs erneuter Präsentation wurde der Vertrag dann aber doch unterzeichnet.

Verträge in fünf Ländern

Seit 2008 haben die Ärzte gegen Tierversuche e. V. in Zusammenarbeit mit InterNICHE Verträge mit 55 Instituten in 22 Städten in der Ukraine, Kirgisien, Usbekistan, Weißrussland und Russland geschlossen. Die Institute verzichteten damit auf Tierversuche. Um den Unterricht entsprechend gestalten zu können, wurden sie mit Filmen und Computerprogrammen ausgestattet, gerade in ärmeren Ländern auch mit Hardware in Form von Laptops und Beamern. Bereits über 38000 Wirbeltiere wie Ratten, Frösche, Kaninchen und auch Hunde und Katzen sowie über 15000 Wirbellose wie Insekten und Krebse pro Jahr seien durch die Osteuropa-Projekte nicht mehr getötet werden. Verträge mit weiteren Instituten sind geplant.

Lehrmittel in der Landessprache

Ausländisches Lehrmaterial ist mit hohen Kosten und Sprachbarrieren verbunden und zudem nicht vollständig an die einheimischen Lehrpläne angepasst. Daher ist ein wesentlicher Bestandteil der Osteuropa-Projekte die Herstellung von Lehrmitteln in der jeweiligen Landessprache. Diese vermögen die Akzeptanz der Lehrmittel unter den Hochschullehrer/innen zu fördern.

In der damaligen Sowjetunion existierte eine große Anzahl von Videofilmen mit Aufzeichnungen von Tierversuchen. Diese „Nauchfilm“ – zu Deutsch: Wissenschaftsfilm – genannten Filme wurden an sowjetischen Hochschulen frei verbreitet. Durch den technischen Fortschritt und dem Übergang auf digitale Informationsträger ist ein Großteil der Filmsammlungen in den Universitäten in Vergessenheit geraten. Diese Filme galt und gilt es wiederaufzubereiten und zu digitalisieren. Darüber hinaus werden neue Lehrmittel erstellt und bereits vorhandene übersetzt bzw. synchronisiert.i

i Vgl. https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/fuer-experten/studium-fortbildung/osteuropa-projekte (02.12.2023). In diesem Artikel schließt aus Gründen der Vereinfachung der Begriff „Tierversuch“ auch den Tierverbrauch ein. Während Tierversuche am lebenden Tier durchgeführt werden, werden beim Tierverbrauch Tiere verwendet, die eigens zu Studienzwecken getötet werden.