Uneingeschränkt geschlechtergerecht ist nur die geschlechtsneutrale Sprache, speziell die Verwendung von Partizipien. Geschlechtergerechtigkeit ist jedoch nicht das einzige sprachliche Kriterium, das beim Formulieren zu beachten ist. Besonders große Bedeutung kommt der sprachlichen Korrektheit zu. Texte müssen grammatisch korrekt sein. Erfüllt eine Art des Genderns dieses Kriterium nicht, scheidet sie aus. Daher gilt es, zu prüfen, inwieweit die verschiedenen Arten des Genderns grammatisch korrekt sind. Das generische Maskulinum entspricht in seiner Verwendung dem gewöhnlichen Maskulinum und ist insofern unproblematisch. Aber wie sieht es mit den verschiedenen Formen des Genderns aus?
Es zeigt sich, dass geschlechtsneutrale Sprache (= Sprache, die alle Geschlechter unsichtbar macht) leichter grammatisch korrekt zu handhaben ist als geschlechtsbetonte (= Sprache, die alle Geschlechter sichtbar macht). Allerdings besteht die Gefahr der falschen Verwendung des Partizip Präsens. Geschlechtsneutrale Sprache tendiert jedoch dazu, abstrakt und leblos zu sein. Lebendigkeit kommt durch das Handeln von Personen, nicht durch Sachbezeichnungen, Oberbegriffe oder Adjektive. Geschlechtsbetonte Sprache ist nicht leicht zu handhaben. Schwierig wird es insbesondere, wenn ein Maskulinum im Wort steckt oder ein Wort sogar zwei Maskulina enthält.
Gefahr der falschen Verwendung des Partizip Präsens
Die Verwendung von Partizipien ist – zumindest im Plural – besonders geschlechtergerecht. Deshalb soll sie an erster Stelle auf die grammatische Korrektheit hin überprüft werden. Es gibt zwei Zeitformen des Partizips: Das Partizip Präsens und das Partizip Perfekt. Im Hinblick auf das Gendern spielt in erster Linie das Partizip Präsens eine Rolle, z. B. wenn „Studierende“ statt „Studenten“ oder „Lehrende“ statt „Lehrer“ verwendet wird. In diesen Fällen handelt es sich um substantivierte Partizipien. Partizipien können aber auch wie ein Adjektiv verwendet werden, beispielsweise wenn wir von der „brennenden Sonne“ sprechen.
Das Partizip Präsens drückt die Gleichzeitigkeit aus. Die Sonne brennt nur dann, wenn die Sonne am wolkenlosen oder leicht bewölkten Himmel steht. Nur wenn die Sonnenstrahlen kräftig zu spüren sind, sprechen wir von einer „brennenden Sonne“. Wenn die Sonne untergeht oder untergegangen ist, sprechen wir nicht von einer brennenden Sonne, weil wir in dem Augenblick die Strahlen nicht mehr als brennend empfinden. Ähnlich ist es mit substantivierten Partizipien. „Lehrende“ sind Personen, die gerade die Tätigkeit des Lehrens ausüben. Ein „Lehrer“ kann schlafen und bleibt dennoch „Lehrer“, weil „Lehrer“ eine Berufsbezeichnung ist. „Lehrender“ ist keine Berufsbezeichnung. Ein schlafender „Lehrer“ ist ebenso ein „Lehrer“ wie ein lehrender „Lehrer“. Einen schlafenden „Lehrenden“ dagegen gibt es nicht, weil man nicht zugleich schlafen und lehren kann.
Nun ist aber umstritten, wie eng der Grundsatz, dass das Partizip Präsens eine gleichzeitige Handlung ausdrückt, zu nehmen ist. Nehmen wir als Beispiele die „Studierenden“ und die „Reisenden“. Sind „Studierende“ nur Studenten, die gerade der Tätigkeit des Studierens nachgehen, oder sind nicht alle eingeschriebenen Studenten „Studierende“? Streng genommen ist nur Ersteres richtig, weil eingeschriebene Studenten auch faulenzen können. „Faulenzende Studierende“ sind eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit, weil die Tätigkeit des Studierens stets mit Konzentration und einem Mindestmaß an Anstrengung verbunden ist. Allerdings kann man auch die gesamte Zeit der Immatrikulation als eine Zeit des Studierens ansehen. „Reisende“ sind ja schließlich auch nicht nur dann „Reisende“, wenn sie sich in irgendeiner Form fortbewegen. Sie sind auch dann „Reisende“, wenn sie im Café ein Eis essen oder im Hotel schlafen. Die gesamte Zeitdauer der Reise wird als Reisen verstanden.
Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass in den meisten Fällen das Partizip Präsens eine Handlung bezeichnet, die gerade stattfindet. Wir gehen zum „Bäcker“, weil es sich bei dem „Bäcker“ um eine Berufsbezeichnung handelt, die zudem mit einem Geschäft verbunden ist. Genau genommen treffen wir den Bäcker vermutlich gar nicht an, weil er für das Backen und nicht für den Verkauf zuständig ist. Zum „Backenden“ gehen wir nicht, denn dann müssten wir um 4 Uhr morgens in die Bäckerei, wenn der der Bäcker den Teig knetet oder am Ofen steht und die Brote backt. Deutlich ist auch der Unterschied zwischen einem „Mörder“ und einem „Mordenden“. Ein Mörder mag nur eine Person ermordet haben und das mag schon 20 Jahre her sein – er bleibt sein Leben lang ein „Mörder“. Ein „Mordender“ dagegen zieht in der Gegenwart umher und ermordet Menschen. Wenn er aufhört, Menschen zu ermorden, ist er kein „Mordender“ mehr, bleibt aber ein „Mörder“. Und wenn der „Mörder“ stirbt, dann ist er ein toter „Mörder“. Einen toten „Mordenden“ dagegen gibt es nicht – es sei denn fiktiv in einem Horrorfilm.
Bleibt also festzuhalten, dass in den meisten Fällen der Gebrauch des Partizip Präsens zur Geschlechtergerechtigkeit nicht sinnvoll ist. Mehr noch: Er führt zur falschen Verwendung des Partizip Präsens. Natürlich kann die Verwendung künstlich forciert werden, womit aber der ganz spezifische Sprachgebrauch aufgeweicht wird. Das geht auf Kosten der Genauigkeit und damit auch der Verständlichkeit der Sprache und schädigt sie letztendlich. Wenn Partizipien zur Geschlechtergerechtigkeit gebraucht werden, dann möglichst sparsam und bedacht. Durchaus vertretbar ist die Rede von „Studierenden“, sogar üblich die Rede von „Vorsitzenden“, „Hungernden“ und „Reisenden“. In diesen Fällen, insbesondere den letzten drei Fällen, ergibt es auch Sinn, das Partizip Präsens im Singular zu verwenden. Ansonsten kann der geschlechtsspezifische Singular auch in einen geschlechtsneutralen Plural umgewandelt werden. So kann „jede Studierende“ oder „jeder Studierende“ problemlos durch „alle Studierenden“ ersetzt werden.i
Problemloser Einsatz von gängigen Formen des Partizip Perfekt
Unproblematischer und oft üblich ist die Verwendung der vorzeitigen Form des Partizips, nämlich des Partizip Perfekt. Dieses drückt aus, dass eine Handlung bereits stattgefunden hat und abgeschlossen ist. Beispiele für gängige substantivierte Formen des Partizip Perfekt sind „Gewählte“, „Verwitwete“ und „Abgeordnete“.
Völlig unproblematisch und auch geschlechtergerecht ist das Partizip auch in Formulierungen wie „geschrieben von“ oder „herausgegeben von“. Sie können zwar immer verwendet werden, allerdings bringen sie nur dann einen Vorteil, wenn von mehreren Autoren oder Herausgebern verschiedenen Geschlechts die Rede ist oder (mindestens) eine Person diversen Geschlechts involviert ist. Ansonsten kann problemlos „Autor“, „Autorin“, „Autorinnen“ usw. geschrieben werden.
Vermeidung von Personenbezeichnungen durch Sachbezeichnungen, Oberbegriffe oder Adjektive
Wenn Personenbezeichnungen, die die verschiedenen Geschlechter sichtbar machen, zu grammatischen Schwierigkeiten führen, dann liegt es nahe, sie zu vermeiden. Die Vermeidung kann auf vielerlei Weise geschehen. Geeignet sind Sachbezeichnungen, Oberbegriffe oder Adjektive.
Beispiele für Sachbezeichnungen sind „Staatsoberhaupt“ (statt „Herrscher“), „Presse“ (statt „Journalisten“) und „Kollegium“ (statt „Kollegen“). Die Formulierung „Messebesucher links abbiegen“ ließe sich durch „Zur Messe links abbiegen“ ersetzen. Beispiele für geschlechtsneutrale Oberbegriffe sind „Team“ (statt „Mannschaft“), „Fachkräfte“ (statt „Facharbeiter“) und „Lehrkräfte“ (statt „Lehrer“). Und für die Verwendung eines Adjektivs lassen sich beispielhaft „ärztlicher Rat“ (statt „Rat des Arztes“), „fachkundige Hilfe“ (statt „Hilfe eines Fachmanns“) oder „kritische Stimmen“ statt „Kritiker“ anführen.ii
Grammatische Herausforderungen bei der Sichtbarmachung der Geschlechter
Ganz anders geartete grammatische Herausforderungen sind bei der Verwendung von Formen zu meistern, die die verschiedenen Geschlechter ausdrücklich nennen. Die Herausforderungen sind ähnlich, gleich ob es sich um ausführliche Formen oder um Kurzformen handelt. Das hängt damit zusammen, dass die Artikel und Pronomina im Singular geschlechtsspezifisch sind.
Verdeutlichen wir am Beispiel des Satzes „Kein Lehrer kann sich einen solchen Schnitzer erlauben“, welche grammatischen Schwierigkeiten auftauchen, wenn die Geschlechter ausdrücklich genannt werden. Beginnen wir mit der ausführlichen Beidnennung von Frauen und Männern: Der Satz lautet dann „Keine Lehrerin bzw. (alternativ: und) kein Lehrer kann sich solch einen Schnitzer leisten“. Das ist grammatisch richtig, aber lang und umständlich. Da kann die Neigung aufkommen, zu kürzen.: „Kein/e Lehrer/in kann sich solch einen Schnitzer leisten“. Dieser Satz ist zwar schön kurz, was insbesondere bei Platzmangel vorteilhaft ist, aber grammatisch falsch. Zumindest lässt er sich nicht mehr vorlesen. Natürlich kann man zwischen „Kein“ und „e“ sowie zwischen „Lehrer“ und „/in“ eine kurze Pause machen. Das stört dann aber erheblich den Redefluss, wirkt unnatürlich und macht den Satz grammatisch nicht richtiger. Wenn so gegendert wird, dass sowohl die weibliche als auch die männliche Form genannt wird, dann sollten Kurzformen nur dann verwendet werden, wenn Kürze eine entscheidende Rolle spielt. Das gilt vor allem bei Anzeigen. Bei der Formulierung von Anzeigen kann man sich auch mit dem Kürzel „m/w/d“ (für „männlich/weiblich/divers“) behelfen, wie in Stellenanzeigen, wo es z. B. ““Verkäufer (m/w/d) gesucht“ heißt. Was die lange und umständliche Formulierung der ausführlichen Beidnennung betrifft, kann natürlich nach alternativen Formulierungsmöglichkeiten gesucht werden. Eine Möglichkeit wäre „Lehrerinnen und Lehrer können sich solch einen Schnitzer nicht leisten“.
Auch Binnen-I, Klammer, Gender-Sternchen, statischer Unterstrich und Gender-Doppelpunkt sind Kurzformen. „Student*innen“ sind Studenten, Studentinnen und diverse Menschen, die zum Studium eingeschrieben sind. Die Kurzform empfiehlt sich deswegen, weil die Langform sehr lang und umständlich ist. Aber gleich welche Kurzform man wählt, es kommt doch bei ihrer Verwendung im Singular auf Schritt und Tritt zu grammatischen Herausforderungen. Bleiben wir bei dem Beispielsatz. Mit Gender-Sternchen lautet er „Kein/e Lehrer*in kann sich solch einen Schnitzer leisten“. Auch dieser Satz ist grammatisch nicht richtig, lässt sich zumindest nicht vorlesen. Natürlich kann man auch bei dieser Schreibweise zwischen „Kein“ und „e“ sowie zwischen „Lehrer“ und „*in“ eine kurze Pause machen. Das stört dann aber wiederum erheblich den Redefluss, wirkt unnatürlich und macht den Satz grammatisch nicht richtiger. Außerdem ist das Sternchen nicht hörbar. Zu hören ist nur die männliche Form „Lehrer“ und die weibliche Form „Lehrerinnen“.iii
Ein Weg, das Sternchen hörbar zu machen, ist der Ersatz durch einen Verschlusslaut (als „Glottisschlag“ oder „Glottisschluss“ bezeichnet), wie er kurz vor dem Erbrechen entsteht. Es wird also „Lehrer“ gesprochen, dann folgt der Verschlusslaut und dann wird das „innen“ gesprochen. Dieser Weg ist durchaus gangbar, zumal Verschlusslaute auch in Worten wie „Theater“ und zusammengesetzten Worten wie „Raum-Innenfarbe“ vorkommen. Dennoch lässt sich Kritik anbringen: Zum einen stellt sich die Frage, ob sich diverse Menschen tatsächlich in einem wenig wohlklingenden Verschlusslaut repräsentiert fühlen. Zum anderen ist der Verschlusslaut an dieser Stelle unnatürlich und verleitet auch zu Missverständnissen. „Lehrer*innen“ klingt wie „Lehrer sind drinnen“, also nicht draußen. Insbesondere schlecht hörende Menschen werden verunsichert, weil sie stets davon ausgehen müssen, etwas überhört zu haben.
Wenn das Maskulinum mitten im Wort steckt
Häufig steckt ein Maskulinum in einem zusammengesetzten Wort. Als Beispiel seien „Verbraucherschutz“, „Pendlerpauschale“, „Fußgängerüberweg“ und „Bürgermeisterkandidat“. Da es sich bei „Verbraucher“, „Pendler“, „Fußgänger“ und „Bürgermeister“ jeweils um ein generisches Maskulinum handelt, ergibt das auch Sinn.
Werden zusammengesetzte Worte gegendert, dann haben wir es bei Verwendung des Gendersternchens mit „Verbraucher*innenschutz“, „Pendler*innenpauschale“, „Fußgänger*innenüberweg“ und „Bürgermeister*innenkandidat“ zu tun. Und wenn mehrere Personen verschiedenen Geschlechts für das Bürgermeisteramt kandidieren, dann haben wir es mit „Bürgermeister*innen-Kandidat*innen“ zu tun. Mal abgesehen von der Frage, ob es sich um grammatisch zulässige Formen handelt, wird deutlich, dass konsequentes Gendern die gesamte Sprache durchdringt. Auf Schritt und Tritt tun sich grammatische Streitfragen auf, sind Wortungetüme zu bilden und Regeln unnatürlicher Aussprache zu beachten. Auch Begriffe, die eigentlich für eine behutsame geschlechterneutrale Sprache vorteilhaft sind, wie „Leserschaft“ (statt „Leser“) oder „Bürgerschaft“ (statt „Bürger“), müssten gegendert werden. Aus „Leserschaft“ würde dann z. B. „Leser*innenschaft“ und aus „Bürgerschaft“ würde „Bürger*innenschaft“.iv
Besser als solche sprachlichen Ungetüme sind geschlechtsneutrale Alternativen. So kann „Bürgersteig“ durch „Gehweg“ ersetzt werden. Solche Alternativen bieten sich jedoch nur selten an.
iZur Problematik des Gebrauchs von Partizipien für geschlechtergerechte Sprache siehe Fabian Payr, Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören, Wiesbaden 2021, 85-89.
iiEine gute Übersicht über Ersatzformen und Umformulierungen bietet Gabriele Diewald, Anja Steinhauer, Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Berlin 2017, 53-64.
iiiEine ausführliche Bewertung der verschiedenen Möglichkeiten des Genderns insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt der grammatischen Korrektheit bietet https://gfds.de/standpunkt-der-gfds-zu-einer-geschlechtergerechten-sprache/ (aufgerufen am 11.08.2022).
ivTipps zum Gendern bei Ableitungen und Zusammensetzungen geben Gabriele Diewald, Anja Steinhauer, Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Berlin 2017, 65-68. Kritisch äußern sich Fabian Payr, Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören, Wiesbaden 2021, 75-80, der vom „Schrecken der Konsequenz“ spricht, und Tomas Kubelik, Genug gegendert! Eine Kritik der feministischen Sprache, Halle 2013, 109-114.