Affen machen nur ein Tausendstel der gesamten Versuchstiere aus. Weil sie dem Menschen so nahe sind, stehen sie dennoch im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses. Insbesondere werden sie für die Grundlagenforschung eingesetzt. Ist die Grundlagenforschung aber überhaupt notwendig? Und ist sie anhand von Affen überhaupt zielführend und ethisch vertretbar?

Die besondere ethische Relevanz von Tierversuchen an Affen

Im Jahr 2014 wurden bundesweit 2842 (2019: 3276) nichtmenschliche Primaten für Tierversuche verwendet. Sie stellen also nur ein Tausendstel der Versuchstiere in Deutschland. Auf biologische Grundlagenforschung entfielen nur 14 Prozent, nämlich 399 Tiere. 81,5 Prozent dieser in Deutschland verwendeten nichtmenschlichen Primaten hingegen kommen zum Einsatz, weil der Gesetzgeber den Tierversuch zwingend vorschreibt. Diese „regulatorischen Tests“ beinhalten gesetzlich vorgeschriebene Giftigkeitsprüfungen von Medikamenten oder Tests zur Qualitätskontrolle von medizinischen Produkten und Geräten. Chemikalien werden laut Statistik nicht mehr an Affen getestet.i Trotz dieser vergleichsweise geringen Zahl nichtmenschlicher Primaten, die in der Grundlagenforschung verwendet werden, ist ein genauerer Blick auf diesen Teil der Tierversuche sinnvoll. Zum einen geht es nämlich um Tiere, die uns Menschen besonders nahe stehen, zum anderen um Grundlagenforschung, die oftmals als überflüssige menschliche Neugierde empfunden wird. Da stellt sich die Frage der ethischen Vertretbarkeit und Notwendigkeit von Tierversuchen besonders dringend.

Verschiedene Arten von Primaten

Die Bezeichnung „nichtmenschliche Primaten“ weist darauf hin, dass es verschiedene Arten Primaten gibt. Zunächst stellt sich da die Frage: Was sind überhaupt „Primaten“? Bei den Primaten („Herrentiere“, auch „Menschengestaltige“ genannt) handelt es sich um eine Gruppe hoch entwickelter Säugetiere, zu der neben den Menschen auch Menschenaffen, Affen und Halbaffen (Lemuren, Loris und Tarsier/Koboldmakis) gehören. Als nichtmenschliche Primaten bezeichnet man alle Primaten mit Ausnahme des Menschen. Die dem Menschen nächstverwandten Primaten sind die Menschenaffen (Gorillas, Schimpansen, Orang-Utans, Gibbons), während die entferntesten die Lemuren sind.ii

Auch rechtlich gesehen werden die verschiedenen Primatenarten unterschieden, wobei bei den Affen noch zu beachten ist, ob die verwendete Art geschützt ist oder nicht. Den strengsten Schutz genießen die Menschenaffen, die nicht für Tierversuche herangezogen werden dürfen. Allerdings werden Ausnahmen von diesem Verbot zugestanden, und zwar im Falle einer schweren, den Menschen bedrohenden Krankheit (wie beispielsweise eine neue Ebola-Variante) oder für die Arterhaltung. Voraussetzung ist jedoch, dass es keine Alternativmethode gibt und der Versuch nicht an anderen Tierarten durchgeführt werden kann. Allerdings sind bereits seit 1991 in Deutschland und seit 2002 in der gesamten Europäischen Union keine Versuche an Menschenaffen mehr durchgeführt worden.iii Auch die anderen nichtmenschlichen Primaten genießen einen besonderen Schutz, wobei allerdings der ursprünglich von der Europäischen Kommission vorgesehene aufgeweicht worden ist. Nach dem Willen der Europäischen Kommission sollten Versuche an nichtmenschlichen Primaten nur dann erlaubt sein, wenn ein Zusammenhang mit Heilung von Krankheiten nachweisbar ist. In der Endfassung der Tierversuchsrichtlinie ist die Erlaubnis jedoch ausgeweitet worden und umfasst nun auch die Grundlagenforschung.iv Bei dieser ist nicht zwingend ein Zusammenhang mit der Heilung von Krankheiten nachweisbar.

Gründe für die rechtliche Sonderstellung der nichtmenschlichen Primaten, insbesondere Menschenaffen

Der besondere Schutz der nichtmenschlichen Primaten, insbesondere der Menschenaffen, wird seitens der EU-Tierversuchsrichtlinie damit begründet, dass die nichtmenschlichen Primaten dem Menschen besonders nahe stünden und mit den am stärksten entwickelten sozialen und verhaltensmäßigen Fähigkeiten begabt seien. Aufgrund ihrer nahen Verwandtschaft mit dem Menschen würden sie mehr leiden als andere Tiere. Dies sei wissenschaftlich nachgewiesen. Darüber hinaus habe die Öffentlichkeit größte Bedenken in Bezug auf die Verwendung nichtmenschlicher Primaten. Bezüglich dieser Begründung wird kritisiert, dass der angenommene Zusammenhang zwischen Menschenähnlichkeit und Schmerz- und Leidensempfindlichkeit nicht ausreichend belegt werde. Letztere könne genauso gut bei Tieren gegeben sein, die dem Menschen ferner stehen, und müsse der eigentliche Maßstab der Differenzierung sein. Dies lasse auch das deutsche Tierschutzgesetz erkennen. So könnten beispielsweise Krebse Schmerz empfinden und sich später daran erinnern. Ebenfalls hätten Fische (namentlich Regenbogenforellen) ein den Säugetieren vergleichbares hohes Schmerzempfinden, während Nacktmulle (Säugetiere) anscheinend fast keinen Schmerz empfänden. Dass den nichtmenschlichen Primaten besonderes Schmerzempfinden zugeschrieben wird, hänge wohl mit einer rein sympathiegeprägten „ethischen Rangordnung“ zusammen. In dieser Rangordnung stünden üblicherweise die Primaten wegen ihrer Menschenähnlichkeit an erster Stelle.v

Die Kritik zeigt: Bei der Forderung eines Verbotes von Tierversuchen kommen an erster Stelle nichtmenschliche Primaten in den Blick. Sie zeigt aber auch, dass dieser Ansatz am Menschen und nicht am Eigenwert aller Tiere ausgerichtet ist.vi

Ziele der Grundlagenforschung

Die Hirnforschung ist ein wesentlicher Bereich der Grundlagenforschung, die an nichtmenschlichen Primaten durchgeführt wird. Im Gegensatz zur angewandten Forschung hat die Grundlagenforschung keine unmittelbare Anwendung zum Ziel. Vielmehr geht es um den Erkenntnisgewinn, auf dem die weitere Forschung aufbaut. Die Befürworterinnen und Befürworter der Tierversuche argumentieren damit, dass der Stoffwechsel und die Funktion der Organe bei Mensch und Tier sehr ähnlich seien. Daher könnten im Tierversuch gewonnene Erkenntnisse helfen, Lebensvorgänge sowie deren Störungen beim Menschen und bei Tieren besser zu verstehen. Obwohl die Übertragbarkeit der Ergebnisse aus der Grundlagenforschung in die Anwendung weder planbar sei noch ihr direkter Nutzen kurzfristig abgesehen werden könne, seien wissenschaftliche und medizinische Durchbrüche ohne die Erkenntnisse, die die Grundlagenforschung hervorbringe, nicht denkbar.vii Ob die Grundlagenforschung nun in ihrem ganzen Umfang sein muss, kann sicherlich hinterfragt werden. Dass ein Teil der Forschung in erster Linie dazu dient, das wissenschaftliche Renommee der forschenden Personen aufzubessern, was wiederum der Eintreibung von Drittmitteln für die Forschung und Lehre zuträglich ist, lässt sich wohl auch kaum bestreiten. Aber ist die Grundlagenforschung tatsächlich in erster Linie mit Neugierde zu erklären? Ein Bestandsaufnahme der Forschung, die auf Tierversuchen gründet, hat 2005 ergeben, dass innerhalb von zehn Jahren 0,3 Prozent der Ergebnisse der untersuchten Projekte in der Humanmedizin angewendet werden konnten. Laut den Autoren dieser Bestandsaufnahme habe man zwar durch Tierversuche Hypothesen bestätigen können, jedoch habe dies nicht dazu geführt, dass eine neue Therapie am Menschen umgesetzt wurde. Entweder sei kein therapeutischer Effekt nachweisbar gewesen, oder die Befunde am Menschen hätten sogar den Ergebnissen am Tier widersprochen.viii Nimmt man dieses Ergebnis als Grundlage für die Bewertung, kann man feststellen, dass nur ein verschwindend geringer Teil der Tierversuche für die Humanmedizin einen praktischen Nutzen hatte. Man kann aber auch zu dem Schluss kommen, dass sich unter den 0,3 % auch Projekte befunden haben, die für bestimmte sterbenskranke Patienten überlebenswichtig waren. Die verwendete Methodik ist nicht über alle Zweifel erhaben: Basis der Studie sind lediglich 16 in den Jahren 1991-1993 eingereichte Forschungsanträge aus drei bayerischen Universitäten. Die Datenbasis ist also recht schmal und inzwischen veraltet, was Zweifel daran aufkommen lässt, dass die Studie repräsentativ ist. Darüber hinaus sind nur die Zitierhäufigkeit und der Zitierverlauf untersucht worden, was die Frage aufwirft, ob diese Auskunft über die tatsächliche Relevanz der Forschungsergebnisse liefern.ix

Anhand von Affen der Funktionsweise des menschlichen Gehirns auf der Spur

Das Gehirn des Affen ist ähnlich komplex aufgebaut wie das Gehirn des Menschen. Für die Erforschung der Funktionsweise des menschlichen Gehirns werden daher bevorzugt Affen verwendet. Auch im Hinblick auf Erkrankungen des Gehirns geht man davon aus, dass durch Versuche an Affen wichtige Erkenntnisse gewonnen werden können, die bei der Heilung oder zumindest Linderung der Erkrankungen bedeutsam sein können.

Zu den zentralen Fragestellungen, denen anhand von Affen (v. a. Rhesusaffen) nachgegangen wird, gehört, welche Nervenaktivitäten sich im Affenhirn abspielen. Um das herauszufinden, werden die Affen in einen sogenannten Primatenstuhl gesetzt und mit bestimmten Sinneseindrücken konfrontiert, indem ihnen beispielsweise bestimmte Muster oder Bilder gezeigt werden. Oder die Affen müssen bestimmte Aufgaben lösen, beispielsweise bestimmte Zahlen und Punkte auf dem Bildschirm erkennen. Um die Augenbewegungen verfolgen zu können, wird in die Bindehaut der Augen eine Metallspule einoperiert. Außerdem wird ein Loch in den Schädel gebohrt und eine Ableitkammer aus Titan angebracht, die als Zugang zur Sehrinde dient. Durch sie werden Mikroelektroden in das Hirngewebe eingelassen. Damit die Augenbewegungen und Nervenaktivitäten gemessen werden können, wird der Schädel mittels eines Titanimplantates fixiert. Wenn der Affe eine Aufgabe richtig löst, erhält er als Anreiz Wasser oder Saft.

Diese insbesondere auch vom Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik in Tübingen durchgeführten Versuche sind äußerst umstritten. Die Gegnerinnen und Gegner vermögen in ihnen keinen Sinn zu erkennen und halten sie für ethisch fragwürdig. Unseren nächsten Verwandten, den Affen, werde unnötig Leid angetan: Sie würden der Freiheit beraubt, müssten fürchterliche, bohrende Kopfschmerzen ertragen und dursten, sofern sie die Aufgaben nicht richtig lösen. Nach ein paar Jahren würden sie getötet und weggeworfen. Das Max-Planck-Institut für Biologische Kybernetik dagegen weist auf den Nutzen für die Erforschung des menschlichen Hirns und von dessen Krankheiten hin. Weil das Gehirn schmerzunempfindlich sei, merke der Affe von den Elektroden nichts. Auch das Titanimplantat zur Fixierung des Kopfes verursache keinen Schmerz. Der Affe müsse auch nicht über längere Zeiträume dursten, wenn er nicht kooperiert. Überhaupt sei ein zeitweiser Entzug von Wasser oder Saft für ihn kein Problem. Auch in der Natur müssten seine Artgenossen manchmal längere Zeit ohne Wasser auskommen, bis sie die nächste Wasserstelle gefunden haben.x

Bildgebende Verfahren als Ersatz für Affenversuche? Möglichkeiten und Grenzen

Die drängenden ethischen Fragen, die Versuche mit Affen aufwerfen, lassen die Verwendung von Alternativmethoden besonders dringlich erscheinen. Dabei kommen insbesondere die sogenannten bildgebenden Verfahren infrage: die Magnetenzephalographie (MEG) und die funktionelle Magnetresonanztomographie (fMRT; englisch auch fMRI). Bei der Magnetenzephalographie wird das natürliche Magnetfeld gemessen, das durch die Aktivität des Gehirns entsteht. Dies geschieht durch äußere Sensoren, die sogenannten SQUIDs. Die funktionelle Magnetresonanztomographie misst Veränderungen der Gewebsdurchblutung in den verschiedenen Hirnregionen. Beiden Verfahren ist gemein, dass Gehirnaktivität am Bildschirm des Computers sichtbar gemacht wird. Aber warum wird überhaupt noch Hirnforschung anhand von Affen betrieben, wenn es doch bereits hochmoderne Verfahren gibt, die Gehirnaktivitäten nicht nur messen, sondern auch bildlich sichtbar machen können? Für die Beantwortung dieser Frage bedarf es eines genaueren Blickes auf die Möglichkeiten und Grenzen der beiden Verfahren. Im Folgenden soll ein solcher auf die funktionelle Magnetresonanztomographie erfolgen.

Wenn wir eine bestimmte Handlung durchführen, beispielsweise den kleinen Finger beugen oder eine Blume sehen, sind bestimmte Gehirnareale aktiv. In diesen Gehirnarealen wird Energie verbraucht. Diese gelangt in Form von Sauerstoff und Zucker über die Blutgefäße zu den Nervenzellen und wird dort dann verbrannt. Die Aktivierung der Gehirnzellen geht mit einem hohen Sauerstoffgehalt der roten Blutkörperchen einher. Die funktionelle Magnetresonanztomographie – auch funktionelle Kernspintomographie genannt – misst mittels eines Magnetfeldes, in welchen Gebieten des Gehirns sich der Sauerstoffgehalt ändert und zeigt damit indirekt an, welche Zellen gerade besonders aktiv sind. Das Prinzip, anhand der funktionellen Magnetresonanztomographie Änderungen im Sauerstoffgehalt des Blutes nachweisen zu können, wird BOLD genannt. Dabei handelt es sich um die Abkürzung der englischen Bezeichnung „Blood Oxygen Level Dependent“, was „vom Sauerstoffgehalt des Blutes abhängig“ bedeutet. Die Veränderungen des Sauerstoffgehaltes werden am Bildschirm des Computers sichtbar gemacht, wobei die Farbskala von gelb bis rot verwendet wird. Gelbe Farbe zeigt einen hohen Sauerstoffgehalt des Blutes und damit eine besonders erhöhte Aktivierung der Zellen an. Dort, wo rote Farbe zu sehen ist, sind die Zellen des Gehirns auch aktiviert, allerdings in schwächerem Maße.xi

Die funktionelle Magnetresonanztomographie vermag also gute Einblicke in die Aktivitäten von bestimmten Gehirnbereichen geben. Allerdings sind ihre Ergebnisse nicht mit den Ergebnissen der Affenversuche deckungsgleich. Im Gegensatz zu den Mikroelektroden im Affenhirn werden mittels des Magnetfeldes nicht die Hirnströme erfasst, sondern der Sauerstoffverbrauch. Dieser wird auf dem Computerbildschirm in einer Auflösung sichtbar gemacht, die auf den Millimeterbereich beschränkt ist. Die Mikroelektroden, bei denen es sich um haarfeine Drähte handelt, vermögen dagegen von einzelnen Zellen die Aktivitäten zu messen. Die Ergebnisse sind dementsprechend genauer und bewegen sich im Mikrometerbereich. Nachteilig ist jedoch, dass es sich um das Gehirn eines Affen und nicht eines Menschen handelt und die Ergebnisse somit nur eingeschränkt übertragbar sind. Um ein umfassendes Bild von den Aktivitäten im Gehirn zu bekommen, bedarf es also der Kombination verschiedener Verfahren.xii

Erforschung und Linderung von Morbus Parkinson

Eine wichtige Aufgabe der Hirnforschung ist es, den Ursachen von Erkrankungen des Gehirns und Nervensystems auf die Spur zu kommen. Nur wenn die Ursachen bekannt sind, können Wege gefunden werden, sie zu lindern und in Zukunft vielleicht auch zu heilen.

Alzheimer ist die häufigste Erkrankung des Gehirns und Nervensystems, gefolgt von Morbus Parkinson. Während das offensichtlichste Merkmal bei Alzheimer Vergesslichkeit ist, ist es bei Parkinson das Zittern, verbunden mit Bewegungsstörungen. Die Funktion der Organe des menschlichen Körpers nimmt mit zunehmendem Alter ab. Auch im Gehirn gibt es einen langsamen, altersbedingten Verlust von Zellen und Zellfunktionen. In jüngeren Jahren kann das menschliche Gehirn diesen Verlust kompensieren, im höheren Alter dagegen kann es zu einem krankhaften Verlust kommen. Mit dem Verlust von Nervenzellen im Gehirn geht die Entstehung von Alzheimer und Parkinson einher, je nachdem, wo genau das Zellsterben stattfindet. Bei der Parkinson-Erkrankung beispielsweise sind ausschließlich Nervenzellen betroffen, die den Botenstoff Dopamin produzieren, der für die Bewegungssteuerung benötigt wird. Bei der Alzheimer-Demenz dagegen bilden sich im Gehirn sogenannte Eiweißplaques: Verklumpungen bestimmter Eiweißmoleküle, die bei Gesunden nicht in diesem Maße auftreten. Die genauen Entstehungsbedingungen der Erkrankung des Gehirns und Nervensystems sind unbekannt und werden weiter erforscht. Vermutlich sind sie komplex und beruhen auf verschiedenen Faktoren, die nicht alleine für sich, sondern in Verbindung miteinander wirken. So besteht meist bereits eine genetische Veranlagung, die aber erst dann zu einer Erkrankung führt, wenn Umweltfaktoren hinzu kommen. Zur Entstehung von Parkinson tragen möglicherweise auch Erschütterungen des Gehirns, wie sie z. B. bei Boxern vorkommen, bei.xiii

Die Hirnforschung, bei der auch Affenversuche – v. a. anhand von Rhesusaffen – durchgeführt wurden, hat zur Entwicklung der Tiefen Hirnstimulation geführt. Dabei wird einer schwer oder behandlungsresistent an Parkinson erkrankten Person in das Gehirn eine dünne Elektrode eingepflanzt, wie sie auch bei den Versuchen mit Affen zum Einsatz kommt. Diese wird über ein Verbindungskabel (unter der Haut) mit einem kleinen Stimulator (ebenfalls unter der Haut) verbunden. Dieses elektronische Implantat gibt Impulse an die Nervenzellen in dem von der Krankheit betroffenen Gehirnbereich – dem Nucleus subthalamicus – ab und korrigiert so die krankhaft veränderte Nervenzellaktivität. Auf diese Weise lassen sich Bewegungsstörungen lindern.xiv Die Tiefe Hirnstimulation ist dabei die harmlose Abwandlung einer rabiaten Behandlungsmethode von Parkinson. Ursprünglich wurde das Zittern der an Parkinson erkrankten Person vermindert oder beseitigt, indem man den Nucleus subthalamicus zerstörte. Der Preis war allerdings hoch, wurde doch ein Teil des Gehirns unwiederbringlich vernichtet. Als Folge des Eingriffs traten bei manchen Patienten Persönlichkeitsveränderungen auf, während die positiven Effekte mit der Zeit nachließen. Negative Folgen des Eingriffes ließen sich nicht rückgängig machen. Das ist bei den harmlosen elektrischen Impulsen anders, weil sie nur anregen, nicht aber zerstören.xv

Datenanalyse mittels Computersimulation

Am Bernstein Center Freiburg haben Forscher um Arvind Kumar genauer untersucht, wie die Störungen im Bewegungsablauf zustande kommen. Bei Betroffenen zeigen Gruppen von Nervenzellen in einem Gehirnbereich, den Basalganglien, eine periodisch schwankende Aktivität. Die Freiburger Forscher haben in einem computergestützten Modell die Netzwerke im menschlichen Gehirn simuliert und konnten zeigen, dass eine erhöhte Aktivität in einem als Striatum bezeichneten Hirnbereich zu den krankhaften Schwingungen der Basalganglien führt. Darüber hinaus konnten die Wissenschaftler mit Hilfe ihrer Computersimulation erklären, wie die Tiefe Hirnstimulation die Balance wiederherstellt. Es gelang ihnen sogar, die Stimulierung des Gehirns so zu optimieren, dass sie mit der Hälfte der normalerweise nötigen Impulse auskommt. Dies kann die Lebensdauer des elektronischen Implantats erhöhen und die bei der Patientin bzw. dem Patienten zum Batteriewechsel erforderlichen Eingriffe minimieren.xvi

Die Computersimulation kann allerdings nicht Affenversuche ersetzen. Vielmehr bedingen die empirische Forschung anhand der Affenversuche und die Theorie anhand der Computersimulation einander. Die Masse und Komplexität der aus den Affenversuchen gewonnenen Daten ergibt nur dann Sinn, wenn sie mittels eines Computers analysiert werden. Und eine Computersimulation kann nur dann erfolgen, wenn eine ausreichende Menge Daten aus Affen- und außerdem auch aus Maus- und Rattenversuchen vorliegt. Mit ihr kann man deutlich machen, was im Gehirn der Tiere geschieht und Rückschlüsse auf das menschliche Gehirn ziehen. Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass der Computer die Vorgänge im Gehirn massiv vereinfacht, weil nicht alle Gehirnregionen erfasst werden. Die besten Erkenntnisse über das menschliche Gehirn ließen sich mit Menschenversuchen gewinnen, die aber aufgrund der Gefahr von Gehirnblutungen kaum eine Alternative zu Tierversuchen darstellen dürften.

Testung von Parkinson-Medikamenten anhand von Zellkulturen

Eher möglich ist der Ersatz der Versuche anhand von Nagetieren und Affen – oftmals genetisch veränderte Tiere – bei der Testung von Medikamenten gegen Parkinson. An der Universität Konstanz werden dazu von Marcel Leist, der den Doerenkamp-Zbinden-Lehrstuhl für In-vitro-Methoden zum Tierversuchsersatz innehat, und seinem Team menschliche Neuronen (= Nervenzellen des Gehirns) kultiviert. Um krankheitsähnliche Schädigungen in den im Labor gezüchteten Zellen auszulösen, untersuchen die Forscherinnen und Forscher, welche Stoffe bei menschlichen Erkrankungen den Krankheitsprozess antreiben. Solche Stoffe werden dann in definierter Menge den kultivierten Zellen zugesetzt, so dass diese innerhalb weniger Tage absterben. Dann wird gemessen, wie viele der Zellen absterben, und es wird geprüft, ob bestimmte Medikamente den Zelltod aufhalten können oder nicht.xvii

i Vgl. http://www.dpz.eu/de/abteilung/ueber-tierversuche/zahlen-und-fakten/tierversuchszahlen-in-deutschland.html (19.05.2017, inzwischen entfernt); Menschen für Tierrechte – Bundesverband der Tierversuchsgegner e. V. [Hrsg.], Im Schatten der Berichterstattung: Routinetests an Affen, 2016, 5.

ii Vgl. http://www.dpz.eu/de/infothek/mediathek/virtuelle-tour.html ; https://www.lernhelfer.de/schuelerlexikon/biologie-abitur/artikel/primaten (19.05.2017).

iii https://www.tierversuche-verstehen.de/mythen/ (19.05.2017).

iv https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/eu/550-eu-tierversuchsrichtlinie-hintergrundinfos (19.05.2017).

v Matthias Cornils: Reform des europäischen Tierversuchsrechts. Zur Unions- und Verfassungsrechtmäßigkeit der Richtlinie 2010/63 des Europäischen Parlaments und des Rats zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere (Studien zum internationalen, europäischen und deutschen Nachhaltigkeitsrecht 2), Münster 2011, S. 132-158, der auf vertiefende Literatur hinweist. Die verschiedenen Aspekte der Begründung der Sonderstellung der nichtmenschlichen Primaten finden sich in den Erwägungsgründen 12.16-18 der EU-Tierversuchsrichtlinie.

vi Immerhin wird der „intrinsische Eigenwert“ der Tiere in Erwägungsgrund 12 der EU-Tierversuchsrichtlinie gewürdigt.

vii Cornelia Exner, Tierversuche in der Forschung, hrsg. von der Senatskommission für tierexperimentelle Forschung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, Bonn 2016, S. 17.

viii Vgl. Toni Lindl, Manfred Völkel und Roman Kolar: Tierversuche in der biomedizinischen Forschung, ALTEX 22 (2005), S. 143-151.

ix Die Verfasser der Bestandsaufnahme begründen die Verwendung der Zitierungsanalyse damit, dass sie in der Wissenschaft verbreitet sei und allgemein als ein wichtiges wissenschaftliches Kriterium zur Beurteilung der Forschung angesehen werde. Leider werde sie aber noch kaum zur Qualitätsprüfung tierexperimenteller Forschung verwendet. Bei der vorliegenden Studie handele es sich um eine deutschlandweit in dieser Art erstmalig durchgeführte Zitationsanalyse von Arbeiten, die aus bewilligten Tierversuchen hervorgegangen sind.

x Zu den Versuchsdurchführungen und zur unterschiedlichen Bewertung siehe Ärzte gegen Tierversuche e. V., Versuche an Affen. Freiheitsberaubung, Folter und Mord, 2015; http://hirnforschung.kyb.mpg.de/tiere/ablauf-der-tierversuche.html (19.05.2017).

xi Vgl. http://hirnforschung.kyb.mpg.de/methoden/funktionelle-magnetresonanztomographie-fmrt.html (19.05.2017).

xii Vgl. http://hirnforschung.kyb.mpg.de/methoden/alternativmethoden.html (19.05.2017).

xiii Vgl. https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/erkrankungen-des-gehirns-5945.php ; https://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/demenz-wenn-vergesslichkeit-zur-krankheit-wird-5948.php (jeweils 02.12.2023).

xiv Vgl. http://hirnforschung.kyb.mpg.de/erkenntnisse/behandlungen-und-therapien/tiefe-hirnstimulation.html (19.05.2017).

xv Vgl. Gunnar Grah, Arvind Kumar: Zittern in Zahlen, Gehirn und Geist 5 (2013), 68-73.

xvi Vgl. Gunnar Grah, Arvind Kumar: Zittern in Zahlen, Gehirn und Geist 5 (2013), 68-73.

xvii Vgl. https://www.uni-konstanz.de/universitaet/aktuelles-und-medien/aktuelle-meldungen/presse-informationen/presse-informationen/tierschutzforschungspreis-wuerdigt-arbeiten-zum-ersatz-von-tierversuchen/ (19.05.2017, inzwischen entfernt).