Um die heutigen Temperaturen und Treibhausgas-Konzentrationen mit denen früherer Zeiten vergleichen und daraus Schlüsse ziehen zu können, müssen die früheren Temperaturen und Treibhausgas-Konzentrationen ermittelt werden. Die heutigen Temperaturen und Treibhausgas-Konzentrationen können direkt gemessen werden, aber wie werden diejenigen früherer Jahrhunderte und Jahrtausende bestimmt?

Für die Rekonstruktion des Klimas der vergangenen Jahrtausende benötigen wir „Stellvertreter-Daten“ – im Englischen als „proxies“ bezeichnet. Die „Stellvertreter-Daten“ werden den sogenannten Klimaarchiven entnommen. Es gibt eine Vielzahl verschiedener Klimaarchive, dazu auch noch historische Aufzeichnungen. Die mittels der verschiedenen Informationsquellen gewonnenen Daten können miteinander verglichen werden. Häufig stimmen die Informationen überein und lassen zuverlässige Schlüsse zum Klima vergangener Zeiten zu.



Rekonstruktion aus Eisbohrkernen 

Wenn an der Oberfläche der Eismassen der Arktis und Antarktis Schnee fällt, dann enthält er viele Zwischenräume mit Luft. Mit der Auflast des weiteren Schnees verdichtet sich die Schneemasse zu Firn und später zu Eis, das in großen Tiefen noch Luftbläschen enthält, aber äußerst dicht ist. Zusammen mit dem Eis konservieren sie die Klimainformationen über viele Jahre.

Nun liegt in der Arktis und auch in der Antarktis das Eis nicht erst seit ein paar Jahren, Jahrzehnten oder Jahrhunderten, sondern seit vielen Jahrtausenden. In der Arktis liegen in 3000 Metern Tiefe an der Basis des Eises etwa 120000 Jahre alte Ablagerungen. In der Antarktis beträgt die Schneefallrate nur etwa 10 % der antarktischen, und so finden wir an der Basis des antarktischen Eisschildes Schneeablagerungen, die fast 1 Mio. Jahre alt sind.

Die Forscher suchen nun nach einer passenden Stelle für eine Bohrung und Entnahme von Eis. Danach stellen sie einen mobilen Bohrturm auf und bohren dann mit einem Eisbohrer in die Tiefe, zum Teil Tausende Meter tief. Mittels des Eisbohrers wird dann ein Eisbohrkern entnommen, eine lange Stange Eis. Eisbohrkerne werden in gleich lange Stücke zersägt und tiefgekühlt. Dann werden sie samt Luftbläschen, Staub und organischen Rückständen analysiert. Wichtig ist die Altersbestimmung der verschiedenen Schichten des Eisbohrkerns, damit die Befunde zur Temperatur und zur Konzentration der Treibhausgase einer bestimmten Zeit zugeordnet werden können.

Die vermutliche Temperatur, die in einer bestimmten Zeit geherrscht hat, wird anhand des Verhältnisses der Sauerstoffisotope 18O und 16O oder von Wasserstoff zu Deuterium bestimmt. Hat man für viele Jahre die Temperatur und die Treibhausgas-Konzentrationen sowie die Leuchtstärke der Sonne ermittelt, kann man die jeweiligen Kurven erstellen, sie miteinander in Beziehung setzen und daraus Schlüsse ziehen.i

Rekonstruktion aus Sedimenten der Meere und Seen

Wichtige Informationen zum Klima der Vergangenheit lassen sich aus der Analyse von Ablagerungen – als „Sedimente“ bezeichnet – aus Meeren und Seen gewinnen. Diese Ablagerungen enthalten zum einen Gesteinstrümmer, zum anderen organisches Material wie z. B. Plankton oder Blütenstaub (Pollen). Aus der Analyse dieser Bestandteile lassen sich Aufschlüsse über das Klima vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende gewinnen, die erstaunlich genau sind.

Auf dem Boden von Seen, die nicht von Strömungen oder Lebewesen verwühlt wurden, finden sich Jahresschichten, sogenannte Warven. Die mineralischen und organischen Bestandteile der Jahresschichten können über besondere Wetterereignisse ebenso Aufschluss geben wie über die Verbreitung bestimmter Tier- und Pflanzenarten. Aus all den Informationen lässt sich das Klima bestimmen. Besonders ergiebig sind Maarseen, die aufgrund ihrer großen Tiefe mächtige Sedimentabfolgen aufnehmen können.

Ebenso wie bei der Analyse von Eis werden für die Analyse Bohrkerne verwendet. Die Sedimentkerne werden in der Regel von schwimmenden Plattformen aus mittels Schwerkraftbohrer oder Vereisungstechniken gewonnen. Aus dem Bohrkern werden 10 cm lange Proben ausgestochen, gefriergetrocknet und mit Kunstharz getränkt. Diese Tränklinge werden extrem dünn geschliffen. Anschließend wird mittels digitaler Bildanalyse die Korngrößenzusammensetzung und -verteilung sowie die geochemische Zusammensetzung analysiert.ii

Rekonstruktion aus Bodenstrukturen

Extrem kalte Temperaturen hinterlassen im Boden Spuren, insbesondere Risse. Hat sich durch den Frost ein Riss gebildet, wird er entweder durch mineralische Ablagerungen verfüllt oder es tritt Wasser ein, das gefriert und den Riss vergrößert. Dort, wo Dauerfrost herrscht, haben sich Eiskeile gebildet, in denen Lebewesen der Eiszeiten enthalten sein können. Nicht nur die Risse, Eiskeile und eingefrorenen Lebewesen der Eiszeiten können analysiert werden, sondern auch der Mageninhalt bestimmter Lebewesen wie z. B. Mammut.iii

Rekonstruktion aus Baumringen

Bäume legen jedes Jahr einen Baumring an, an denen sich das Alter des Baums ablesen lässt. Die Dicke und Zusammensetzung des Baumrings richtet sich nach einer Reihe von Umweltfaktoren wie Strahlung, Licht, Temperatur, Feuchte und Niederschlag, Windgeschwindigkeit und Bodeneigenschaften. Die Faktoren, die auf das Wachstum Einfluss nehmen, sind also komplex. Wichtig für das Wachstum sind ausreichend Wärme und Feuchtigkeit, weshalb diesbezüglich Baumringe sehr aussagekräftig sind.iv

Rekonstruktion mittels Tropfsteinen in Höhlen

Auch Tropfsteine in Höhlen stellen ein „Klimaarchiv“ dar, anhand dessen das Klima vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende abgelesen werden kann. Es gibt Tropfsteine, die von oben nach unten wachsen und als „Stalaktiten“ bezeichnet werden, und Tropfsteine, die von unten nach oben wachsen und als „Stalagmiten“ bezeichnet werden. Speziell die Stalagmiten werden für die Rekonstruktion der Klimageschichte herangezogen. Stalagmiten entstehen in Höhlen, wenn sich eindringendes Niederschlagswasser auf seinem Weg durch den Boden mit Kohlendioxid anreichert und Kalkgestein löst. Aus dieser Lösung gast Kohlendioxid im Innern der Höhle wieder aus und der Kalk scheidet sich in Form von Ablagerungen – „Sintern“ genannt – ab. Viele Stalagmiten wachsen recht gleichmäßig über längere Zeiträume und geben in größere Abschnitte der Klimageschichte Einblick.  

Auch Stalagmiten bilden Jahresringe aus, die jedoch undeutlicher als Baumringe sind und mehrere Jahre umfassen können. Die Bestimmung klimarelevanter Größen erfolgt mittels verschiedener Verfahren. Vereinfacht kann über die Mächtigkeit der abgelagerten Schicht auf mittlere Niederschläge und teilweise auch auf Temperaturen geschlossen werden. Zudem werden – wie bei anderen Klimaarchiven – die Niederschläge und Temperaturen über das Verhältnis der Sauerstoffisotope 16O und 18O abgeschätzt. Dabei sind jedoch viele Randbedingungen zu beachten. Klimarelevante Informationen können auch über die Analyse von eingeschlossenen Pollen oder Fluiden gewonnen werden.v

Rekonstruktion mittels Korallen

Auch gegenwärtige und fossile Korallen können wertvolle Einblicke in die Geschichte des Klimas geben. Für die Analyse wird ein Bohrkern entnommen. Die Korallen wachsen etwa einen Zentimeter pro Jahr, wobei auch sie eine Art Wachstumsringe, sogenannte Dichtebänder, ausbilden. Korallen bauen während ihres Wachstums, je nach Wassertemperatur, unterschiedliche Mengen an Spurenelementen in ihr Kalkskelett ein. Anhand der Analyse dieser Spurenelemente kann man in Kombination mit weiteren Untersuchungen wie des Verhältnisses der Sauerstoffisotope 16O und 18O Rückschlüsse auf die Wassertemperatur ziehen.vi

Rekonstruktion mittels historischer Aufzeichnungen

Neben den genannten Klimaarchiven, die oft Jahrtausende zurückreichen, sind für die geschichtliche Zeit auch historische Aufzeichnungen aufschlussreich. Dabei handelt es sich um Informationen zum Wetter, die menschlichen Beobachtungen entstammen und schriftlich aufgezeichnet wurden. Zu den historischen Aufzeichnungen gehören insbesondere Chroniken, aber auch Wettertagebücher und Logbücher von Schiffen, Reiseberichte und Aufzeichnungen von Wetterextremen sowie sonstige Wetterangaben und Beschreibungen von Klimaereignissen und -anomalien. Nicht zu vergessen sind auch Aufzeichnungen der ersten individuellen Instrumentenmessungen. Wie andere Klimaarchive sind auch die historischen Aufzeichnungen räumlich und zeitlich beschränkt verfügbar, was die Rekonstruktion des Klimas Einschränkungen unterwirft.vii

Zuverlässige Klimadaten durch Vergleich der Klimaarchive und historischen Aufzeichnungen

Man sollte meinen, dass sich anhand der verschiedenen Klimaarchive und historischen Aufzeichnungen nur ungefähre Klimadaten gewinnen lassen, die hinsichtlich ihrer Genauigkeit nicht an heutige Messungen heranreichen. Allerdings können die mittels der verschiedenen Informationsquellen gewonnenen Daten miteinander verglichen werden. Häufig stimmen die Informationen überein und lassen zuverlässige Schlüsse zum Klima vergangener Zeiten zu. Ungenauigkeiten oder Ungereimtheiten sind zwar nicht auszuschließen, allerdings sind auch die heutigen Messungen von Temperatur und anderen klimarelevanten Größen nicht fehlerfrei. Für die letzten Jahrhunderte sind auch Vergleiche von Messwerten mit den Daten der verschiedenen Informationsquellen möglich. Die Übereinstimmungen sind beträchtlich. Allerdings geben die „Stellvertreter-Daten“ in erster Linie über das Klima im Sommer-Halbjahr Aufschluss, womit das Winter-Halbjahr unterbelichtet ist. Diese Einseitigkeit birgt die Gefahr, dass die Jahresmitteltemperatur zu hoch eingeschätzt wird.viii

i Vgl. Frank Sirocko, Geschichte des Klimas, Stuttgart 2013, 41-43; Heinz Wanner, Klima und Mensch: Eine 12‘000-jährige Geschichte, Bern, 2. Aufl. 2020, 82-84.

ii Vgl. Frank Sirocko, Geschichte des Klimas, Stuttgart 2013, 53-56; Klemens Seelos, Frank Sirocko, Limnologie der Maarseen und typische Sedimente, in: F. Sirocko [Hrsg.], Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert, Darmstadt, 3., durchges. Aufl. 2012, 14-18; Heinz Wanner, Klima und Mensch: Eine 12‘000-jährige Geschichte, Bern, 2. Aufl. 2020, 74-81. Zur Pollenanalyse siehe Markus Diehl, Frank Sirocko, Pollenanalyse als Grundlage der Rekonstruktion von Umwelt- und Vegetationsgeschichte, in: F. Sirocko [Hrsg.], Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert, Darmstadt, 3., durchges. Aufl. 2012, 19-25; zu den Bohrungen und Untersuchungsgebieten siehe Frank Sirocko, Bohrungen und Untersuchungsgebiete, in: F. Sirocko [Hrsg.], Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert, Darmstadt, 3., durchges. Aufl. 2012, 33-36; zur Korngrößenanalyse und Sedimentgeochemie siehe Stephan Dietrich, Frank Sirocko, Korngrößenanalyse und Sedimentgeochemie als Grundlage der Klima- und Wetterrekonstruktion, in: F. Sirocko [Hrsg.], Wetter, Klima, Menschheitsentwicklung. Von der Eiszeit bis ins 21. Jahrhundert, Darmstadt, 3., durchges. Aufl. 2012, 26-32.

iii Vgl. Frank Sirocko, Geschichte des Klimas, Stuttgart 2013, 56-58.

iv Vgl. Frank Sirocko, Geschichte des Klimas, Stuttgart 2013, 58-60; Heinz Wanner, Klima und Mensch: Eine 12‘000-jährige Geschichte, Bern, 2. Aufl. 2020, 84-87.

v Vgl. Frank Sirocko, Geschichte des Klimas, Stuttgart 2013, 60-62; Heinz Wanner, Klima und Mensch: Eine 12‘000-jährige Geschichte, Bern, 2. Aufl. 2020, 88-90; https://www.scinexx.de/dossierartikel/dem-wetter-in-europa-auf-der-spur/ (aufgerufen am 03.07.2023).

vi Heinz Wanner, Klima und Mensch: Eine 12‘000-jährige Geschichte, Bern, 2. Aufl. 2020, 90-92; https://www.uni-kiel.de/de/unizeit/uz/news/korallen (aufgerufen am 03.07.2023).

vii Vgl. Heinz Wanner, Klima und Mensch: Eine 12‘000-jährige Geschichte, Bern, 2. Aufl. 2020, 92-97.

viii Vgl. https://www.nzz.ch/wissenschaft/holozaen-zweifel-am-klimaoptimum-vor-9000-bis-5000-jahren-ld.1598609 (aufgerufen am 03.07.2023).