In internationalen Rechtsbestimmungen werden in den letzten Jahrzehnten vermehrt die Frauenrechte betont. So wichtig die Betonung der Frauenrechte ist, so können sie aber nicht gänzlich das Lebensrecht der Ungeborenen aushebeln. Frauenrechte und Rechte der Ungeborenen müssen abgewogen werden. Frauenrechte können nur dann absolut gesetzt werden, wenn nachgewiesen wird, dass das Ungeborene kein Mensch mit eigenem Lebensrecht gemäß Art. 2 Abs. 2 GG (= Grundgesetz) ist. Nur bei einem solchen Nachweis könnten Schutzbestimmungen fallen und der Weg zur Legalisierung der Abtreibung wäre frei.

Familiengründung und Fortpflanzung als menschenrechtliches Thema

Im Laufe der Geschichte wurden Familiengründung und Fortpflanzung in erster Linie unter den Gesichtspunkten der Absicherung im Alter, der nationalen Stärke durch Vermehrung der Bevölkerungszahl und der Förderung der Wirtschaftskraft durch Sicherstellung ausreichender Arbeitskräfte und möglichst vieler Konsumenten betrachtet. Auf der Ebene des internationalen Rechtes rückte in neuerer Zeit aber ein neuer Gesichtspunkt in den Mittelpunkt, nämlich die körperliche und sexuelle Selbstbestimmung der Frauen.

Grundlage der internationalen Rechtsbestimmungen zu den reproduktiven Frauenrechten ist die Verabschiedung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte 1948 durch die Vollversammlung der Vereinten Nationen. Dabei handelte es sich um eine Feststellung der Menschenrechte, rechtsverbindlich wurden diese erst durch die beiden Menschenrechtspakte von 1966 festgeschrieben. Damit war die Grundlage für Aussagen weiterer Abkommen zu den reproduktiven Rechten der Frau gelegt.

Wichtig sind insbesondere die Internationale Menschenrechtskonferenz in Teheran (1968), die UN-Konvention zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW; 1979), die Weltkonferenz über Menschenrechte Wien (1993), die Weltbevölkerungskonferenz Kairo (1994), die Vierte Weltfrauenkonferenz Peking (1995), der UN-Millenniumsgipfel (2000), das Maputo-Protokoll zur Afrikanischen Menschenrechtscharta (2003), das UN-World Summit (2005) und die UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen (UN-BRK; 2006). Für Europa ist darüber hinaus die Europäische Menschenrechtskonvention, das zentrale Menschenrechtsdokument des Europarats, dessen Umsetzung vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte überwacht wird, maßgeblich. 2008 bekräftigte die Parlamentarische Versammlung des Europarats das Recht auf reproduktive Entscheidungsfreiheit, wozu sexuelle Aufklärung, der zuverlässige Zugang zu Verhütungsmitteln sowie der Zugang zu sicheren und legalen Schwangerschaftsabbrüchen in Europa zählen.i

Im Jahr 2021 stimmte das Europäische Parlament mehrheitlich für den Bericht des kroatischen sozialistischen Europaabgeordneten Predrag Fred Matić, wonach sexuelle und reproduktive Gesundheit zu den Menschenrechten gehören.ii Rechtliche Verpflichtungen entstehen den EU-Mitgliedstaaten aufgrund des Matić-Berichtes jedoch nicht, weil Schwangerschaftsabbrüche nicht unter die Zuständigkeit der EU fallen.

Reproduktive Gesundheit ist ein Menschenrecht

Gemäß dem Aktionsprogramm der Weltbevölkerungskonferenz Kairoiii handelt es sich bei der reproduktiven Gesundheit um einen Zustand uneingeschränkten körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens. Dieser Zustand geht über das Nichtvorhandensein von Krankheit oder Gebrechen hinaus. Reproduktive Gesundheit bedeutet deshalb. dass Menschen ein befriedigendes und ungefährliches Sexualleben haben können und dass sie die Fähigkeit zur Fortpflanzung und die freie Entscheidung darüber haben, ob, wann und wie oft sie hiervon Gebrauch machen wollen. Männer, Frauen und Diversen ist Zugang zu den nötigen Informationen zu gewähren. Außerdem ist ihnen Zugang zu sicheren. wirksamen. erschwinglichen und akzeptablen Familienplanungsmethoden ihrer Wahl sowie zu anderen Methoden der Fertilitätsregulierung ihrer Wahl, die nicht gegen die rechtlichen Bestimmungen verstoßen, zu gewähren. Frauen haben das Recht auf Zugang zu angemessenen Gesundheitsdiensten, die es ihnen ermöglichen. eine Schwangerschaft und Entbindung sicher zu überstehen. Für Paare sind die bestmöglichen Voraussetzungen zu schaffen, dass sie ein gesundes Kind bekommen.iv Dabei ist anzumerken, dass Schwangerschaftsabbrüche nicht in das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung eingeschlossen werden. Vielmehr fordert das Dokument alle nationalen Regierungen auf, das Bedürfnis nach Abtreibungen zu reduzieren, indem ein allgemeiner Zugang zu Informationen und Dienstleistungen der Familienplanung gewährt wird. Frauen, die beispielsweise über Verhütungsmittel gut informiert sind, haben ein geringeres Bedürfnis nach Abtreibungen, so die Logik.

Die besondere Bedeutung der reproduktiven Rechte für Frauen

Ein Recht auf reproduktive Gesundheit haben Männer, Frauen und Diverse gleichermaßen. Dennoch hat es im Hinblick auf die Frauen ein besonderes Gewicht. Nur Frauen (und trans Männer) können schwanger werden und Kinder gebären. Alle Ansinnen und Maßnahmen, die Schwangerschaft und Geburt – beispielsweise konkret die Zahl der Kinder – betreffen, gefährden ihre reproduktive Gesundheit. Nur Frauen erleben die mit der Schwangerschaft und Geburt verbundenen körperlichen Veränderungen und Schmerzen. Und schließlich sind die Frauen in ihrer Rolle als Gebärende und Erzieherinnen an erster Stelle von wirtschaftlichen und finanziellen Nachteilen betroffen. Frauen machen also ganz spezifische strukturelle, körperliche, seelische und wirtschaftliche Leid- und Gewalterfahrungen. Insofern kommen ihnen in besonderem Maße Rechte zu, die die reproduktive Gesundheit schützen.

Die Begrenzung reproduktiver Rechte durch Rechte anderer Menschen

Grundsätzlich finden Menschenrechte dort ihre Grenzen, wo Rechte anderer Menschen beschnitten oder gar außer Kraft gesetzt werden. Im Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch bedeutet das, dass die reproduktiven Rechte der Frauen (wie auch der Männer und der Diversen) und das Lebensrecht der ungeborenen Kinder abgewogen werden müssen. Ungeborene Kinder sind auch Menschen und somit kommt auch ihnen ein Lebensrecht zu.

Die reproduktiven Rechte sind ein Verteidigungsrecht. Frauen (wie auch Männer und Diverse) werden also vor Angriffen auf ihre reproduktive Gesundheit geschützt, egal von wem diese kommen. Die reproduktiven Rechte sind nicht verhandelbar. Ihre Umdeutung zu einem Angriffsrecht, wonach eine Frau ganz nach eigenem Belieben ihr Sexualleben führen und über einen Schwangerschaftsabbruch entscheiden kann, ist jedoch nicht zulässig. Erstens würde dies die reproduktive Gesundheit des Partners oder der Partnerin gefährden, zweitens würde dies das Lebensrecht des ungeborenen Kindes leugnen und außer Kraft setzen. Auch das Lebensrecht des ungeborenen Kindes ist nicht verhandelbar.

Es gibt nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten. Es ist die Pflicht eines jeden Menschen, die Rechte anderer Menschen zu achten und sich dementsprechend zu verhalten. Die reproduktive Gesundheit eines jeden Menschen ist zu achten. Wenn dies geschieht, dann muss auch das Lebensrecht des ungeborenen Kindes geachtet werden. Nur wenn die reproduktiven Rechte der Frau verletzt werden, also beispielsweise durch Zwang eine Schwangerschaft entsteht, dann kann man von einem „Recht auf Abtreibung“ sprechen. Wenn es aus einem anderen Grund, beispielsweise einem Missgeschick bei der Schwangerschaftsverhütung, zu einer ungewollten Schwangerschaft kommt, dann kann es kein „Recht auf Abtreibung“ geben. Der Frau kann zwar die letztendliche Entscheidung über den Schwangerschaftsabbruch zugestanden werden, doch muss dafür Sorge getragen werden, dass die Entscheidung über einen Abbruch oder das Austragen des Kindes wohlüberlegt geschieht. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, dass der Frau alle Informationen und Hilfen zur Verfügung stehen, die zu einem Ja zum Kind beitragen können.

i Einen Überblick über reproduktive Gesundheit und Rechte im internationalen und deutschen Recht geben Laura Klein, Friederike Wapler; Reproduktive Gesundheit und Rechte, Aus Politik und Zeitgeschichte (ApuZ). 20 (2019), 20-26.

ii Der Matić-Bericht findet sich in Predrag Fred Matić, Draft Report on the situation of sexual and reproductive health and rights in the EU, in the frame of women’s health (2020/2215(INI)).

iii International Conference on Population and Development (ICPD), Program of Action, UN Doc. A/CONF.171/13 1994, Kap. 7.A, 7.2., 7.3.

iv Vgl. Barbara Holland-Cunz, Uta Ruppert, Aktionsprogramm der Weltbevölkerungskonferenz, Kairo, 13. September 1994, in: B. Holland-Cunz, U. Ruppert [Hrsg.], Frauenpolitische Chancen globaler Politik: Verhandlungserfahrungen im internationalen Kontext Politik und Geschlecht 3), Wiesbaden 2002, 147-150.