Wer früher Tiermedizin, Medizin oder Biologie studieren wollte, kam um Tierversuche kaum herum. Auch in den Fächern Agrar- und Ernährungswissenschaften sowie Pharmazie und Psychologie waren vielfach Tierversuche erforderlich. Proteste von Tierschutzverbänden und von Studierenden sowie ein Bewusstseinswandel haben jedoch dazu beigetragen, dass zunehmend Tierversuche vermieden werden. Heute gibt es eine Vielzahl von Methoden, die Erkenntnisse beispielsweise hinsichtlich der Organfunktionen und des Körperbaus von Mensch und Tier ohne Tierversuche möglich machen.

Tierversuche und Tierverbrauch zu Studienzwecken

Das deutsche Tierschutzgesetz erlaubt ausdrücklich Tierversuche in der Ausbildung, sofern diese nicht durch Alternativmethoden ersetzt werden können. Insbesondere Studierende der Tiermedizin, Medizin oder Biologie werden schon in den ersten Semestern mit Tierversuchen und mit Tierverbrauch konfrontiert. Während Tierversuche am lebenden Tier durchgeführt werden, werden beim Tierverbrauch Tiere verwendet, die eigens zu Studienzwecken getötet werden. Da sowohl der Tierversuch als auch der Tierverbrauch Leid und/oder Tod der Tiere mit sich bringen, gilt für beide, dass sie nach Möglichkeit ganz ersetzt werden sollten. Im Nachfolgenden wird also nicht zwischen Tierversuch und Tierverbrauch unterschieden, sondern es soll exemplarisch aufgezeigt werden, wie Leid und Tod zu Studienzwecken vermieden werden können.

In den genannten Studiengängen sollen die Studierenden Einblicke in die Baupläne der Tiere und in die Funktion der Organe vermittelt bekommen. Zu diesem Zweck werden Tiere aufgeschnitten und Übungen an Organpräparaten durchgeführt.

Lehrmethoden sind je nach Universität und Lehrkraft unterschiedlich

Um herauszufinden, an welchen Universitäten noch Tierversuche und Tierverbrauch stattfinden, hat SATIS, das Projekt für humane Ausbildung des Bundesverbandes Menschen für Tierrechte eine umfangreiche Befragung von Dozentinnen und Dozenten durchgeführt, die 2011 als Ethik-Ranking der bundesdeutschen Hochschulen veröffentlicht und seitdem immer wieder aktualisiert wurde.i

Das Ergebnis der Befragung bezieht sich auf das Grund- und Bachelorstudium sowie auf den Vorklinik-Bereich und fällt sehr unterschiedlich aus: Die im Unterricht angewandten Methoden unterscheiden sich von Universität zu Universität und von Lehrkraft zu Lehrkraft erheblich. Während die einen Universitäten und Lehrkräfte ganz auf Tierversuche und Tierverbrauch verzichten, greifen andere weiterhin – teils wieder – darauf zurück. Das häufigste Argument der Dozentinnen und Dozenten ist die größere Praxisnähe. Alternativmethoden ersetzen oftmals Tierversuche und Tierverbrauch nicht, sondern ergänzen und reduzieren sie. In manchen Fällen wird die Lehrmethode von den Kosten beeinflusst, etwa wenn ein benötigtes Gerät sehr teuer ist. Eine Grundtendenz wird jedoch deutlich: An den Universitäten wird zunehmend versucht, Tierversuche und Tierverbrauch einzuschränken oder sogar ganz zu vermeiden.

Der Froschversuch

Ein typischer und an vielen Universitäten im Rahmen des Physiologie-Kurses noch vorgeschriebener Versuch ist der auf Experimenten von Luigi Galvani (1737-1798) gründende Froschversuch. Ein Frosch (in der Regel ein afrikanischer Krallenfrosch) wird mit einer kleinen Guillotine oder einer Schere geköpft. Dann wird ihm die Haut abgezogen und es werden der Ischiasnerv und der Wadenmuskel herauspräpariert. Wird der Nerv elektrisch gereizt, zuckt der Muskel ‒ je größer die Reizstärke, desto mehr. Außerdem werden die Nervenleitgeschwindigkeit und die Muskelkraft gemessen.ii

Dem Frosch können auch weitere Organe wie Muskeln oder Herz entnommen werden, um Reaktionen auf Stromstöße oder aufgetragene Medikamente zu testen oder den Aufbau des Körpers und seiner Organe zu studieren.

Durchführung des Froschversuchs bei geringerem Tierverbrauch

Selbst wenn man an der Durchführung des Froschversuchs festhält, weil die Studierenden die Präparation, den Umgang mit natürlichem Gewebe und den Zusammenhang von sauberer Präparation und Funktionsfähigkeit des Gewebes lernen sollen, gibt es verschiedene Wege, die Zahl der verbrauchten Frösche zu reduzieren.

Ein Teil der Studierenden kann es nicht mit dem Gewissen vereinbaren, dass für die eigenen Studien Tiere sterben müssen, und will daher nicht selbst den Versuch durchzuführen. Da es auch andere Wege gibt, zu wichtigen Erkenntnissen zu kommen, sollte den Studierenden die Durchführung freigestellt werden. Es können Gruppen gebildet werden, in denen eine Studentin oder ein Student den Frosch seziert, und die anderen Studentinnen und Studenten zuschauen. Es kann auch ein Lehrfilm gezeigt werden, der den Froschversuch ersetzt oder ergänzt. Ein Lehrfilm kann wiederholt, in Zeitlupe gezeigt und an bestimmten Stellen angehalten werden, was Erklärungen erleichtert und das Verständnis fördert. Auf der Großbildleinwand gezeigt, erscheint der Frosch stark vergrößert, so dass er samt seinen Bestandteilen besser zu erkennen ist als im Original.

Wird die Zahl der für die Versuche und Studien benötigten Tiere reduziert, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass nicht eigens Tiere getötet werden müssen. Für anatomische Studien können durchaus natürlich gestorbene, verunfallte oder beim Tierarzt eingeschläferte Tiere verwendet werden. Verunfallte Kröten finden sich zahlreich zu Zeiten der Krötenwanderung, wobei jedoch der Körper noch in brauchbarem Zustand sein muss.

Möglichkeiten, den Froschversuch zu ersetzen

Der Froschversuch oder auch die weitere Organentnahme läuft gerade bei Studienanfängerinnen und -anfängern nicht immer reibungslos ab. Der Wadenmuskel, der Ischiasnerv oder das Herz kann beschädigt werden, so dass die geplanten Versuche nicht mehr oder nur noch eingeschränkt möglich sind. Soll die Form des Körpers und seiner Organe studiert werden, kann ein fachmännisch präpariertes Tier verwendet werden. Mittels der sogenannten Plastination kann der Körper des zu untersuchenden Tieres in einen gummiartigen Zustand überführt und haltbar gemacht werden. Ein solcher Körper hat allerdings den Nachteil, dass die Flexibilität der einzelnen Gewebe und Organe gegenüber den „frischtoten“ Tieren abnimmt. Auch Kunststoffmodelle können den grundlegenden Aufbau des Körpers vermitteln. Sie sind meist farbig, detailliert beschriftet und teilweise zerlegbar, um innere Strukturen darzustellen.

Dem Froschversuch entsprechende Erkenntnisse lassen sich aber auch ohne einen Frosch gewinnen. So werden an verschiedenen Universitäten am lebenden Regenwurm ohne körperlichen Eingriff Nervenaktionspotenziale abgeleitet, was allerdings dem Tier Schmerzen bereitet. Erkenntnisse lassen sich auch im harmlosen Selbstversuch gewinnen, womit sich die Einprägsamkeit erheblich erhöht. Mit myographischen Verfahren können Muskelströme und -mechanik anstatt an einem Froschmuskel am Arm einer Studentin oder eines Studenten bestimmt werden.iii

Die Computerprogramme SimNerv und SimMuscle

Und schließlich können auch moderne Computerprogramme verwendet werden, mit denen den Körper betreffende Phänomene lebensecht nachgeahmt werden können. Zu diesen Programmen gehört die an der Universität Marburg entwickelte Virtual Physiology – Serie, zu denen u. a. SimNerv (ursprünglich „MacFrog“ genannt) und SimMuscle gehören, auf die an dieser Stelle genauer eingegangen werden soll. Zunächst einmal ist darauf hinzuweisen, dass beide Programme die Präparation eines Ischiasnerves und Wadenmuskels eines Frosches nicht ersetzen können. Soll die Präparation gelernt werden, so geschieht dies am natürlichen Gewebe, sei es das Gewebe eines Frosches oder im Verlauf des Studiums ein anderes Gewebe. Nun geht es bei dem Froschversuch allerdings in den seltensten Fällen um die Präparation an sich. Die Versuchsgruppen sind gewöhnlich so groß, dass viele Studierende die Präparation nicht selbst durchführen. Deshalb erhalten sie ein vorgefertigtes Präparat. Diese Vorgehensweise vermeidet auch fehlerhafte Versuchsergebnisse aufgrund einer nicht fachgemäß durchgeführten Präparation. Die Vorteile von SimNerv und SimMuscle liegen bei der Durchführung der Versuche, indem sie den Experimentiereifer verstärken und korrekte Versuchsergebnisse liefern, ohne dass dafür Frösche sterben müssen.

Bei SimNerv kann am Bildschirm anhand eines virtuellen Reizgeräts die Stärke von Stromstößen eingestellt werden, die über eine virtuelle Elektrode auf einen virtuellen Nerv übertragen werden. Die dadurch ausgelösten Ergebnisse werden auf einem virtuellen Oszilloskop dargestellt. Mit der Maus kann man Elektroden verschieben oder die virtuellen Nerven abbinden, um zu untersuchen, wie sich dies auf die Versuchsergebnisse auswirkt. Das, was wie ein experimentelles Kinderspiel am Computer anmutet, hat einen ausgetüftelt-wissenschaftlichen Hintergrund. Grundlage der Ergebnisse sind mathematische Berechnungsverfahren, die Hans A. Braun, der Entwicklungsleiter der Virtual Physiology, erstellt hat. Der virtuelle Nerv reagiert in allen Situationen wie ein realer Nerv.

Dass der Experimentiereifer der Studierenden gefördert wird, lässt sich leicht erklären: Bei den Versuchen am realen Froschnerv haben sie Angst, dass sie bei der Versuchsdurchführung einen Fehler machen und das Präparat unbrauchbar wird. Sie bräuchten ein zweites Präparat, welches möglicherweise nicht gewährt wird: Im schlimmsten Fall stehen sie ohne Leistungsnachweis da. Am Computer können die Studierenden dagegen ohne Angst vor Fehlern spielerisch experimentieren.

Ähnlich verhält es sich mit SimMuscle. Mit diesem Programm lassen sich Kraft und Verkürzung eines Froschmuskels komplett virtuell messen, und das wiederum auf spielerische Weise: Per Mausklick lassen sich dem Muskel Gewichte anhängen und die Stärke der Stromstöße verändern, was die Ergebnisse beeinflusst. Dass diese der Realität entsprechen, dafür sorgen wie bei SimNerv ausgetüftelte mathematische Algorithmen.iv

Tierversuche und Tierverbrauch sind in der Ausbildung nicht unbedingt nötig

Der Überblick zeigt, dass es in der Ausbildung viele Möglichkeiten gibt, Tierversuche und Tierverbrauch zu vermeiden. An einer ganzen Reihe Universitäten kann bereits Tiermedizin, Medizin und/oder Biologie ohne Tierversuche und Tierverbrauch studiert werden. Dass ihre Zahl steigt, weist nicht nur auf zunehmende Skrupel im Hinblick auf Tierversuche und Tierverbrauch hin, sondern auch auf zunehmende Anerkennung der fachlichen Qualität tierversuchs- und tierverbrauchsfreier Lehre. Natürlich können nicht alle Ausbildungsgänge über einen Kamm geschert werden, jedoch lässt sich feststellen, dass in der Ausbildung die Voraussetzungen für ein Verbot von Tierversuchen im Gegensatz zur Forschung gut stehen.

i Das Ethik-Ranking ist unter http://www.satis-tierrechte.de/wp-content/uploads/2016/04/Satis_Ethik-Ranking_050416.pdf (19.05.2017) aufrufbar.

ii Vgl. http://www.tierrechte-bw.de/index.php/tierversuche-348.html (19.05.2017).

iii Ein Überblick über Alternativen zu tierverbrauchenden Übungen findet sich in https://www.satis-tierrechte.de/alternativen/ausgewahlte-innovationen/, eine umfangreiche Alternativendatenbank unter http://www.interniche.org/de/alternatives (19.05.2017). Der Begriff „Nervenaktionspotenzial“ bezeichnet eine charakteristische kurze Änderung des Membranpotenzials elektrisch erregbarer Zellen.

iv Vgl. http://www.virtual-physiology.com/ (19.05.2017); Hans A. Braun: Virtual versus real laboratories in life science education: Concepts and experiences, in: N. Jukes, M. Chiuia [eds.], from guinea pig to computer mouse, InterNiche 2003, S. 81-87.