Hinsichtlich der Streitfrage „Bundesweite Volksentscheide einführen?“ ist nicht nur das Ob, sondern auch das Wie in den Blick zu nehmen. Es stellt sich die Frage, welches der verfassungsrechtliche Rahmen von bundesweiten Volksentscheiden sein soll. Die Zahl der zu erwartenden Volksentscheide hängt nämlich davon ab, wie streng die Vorgaben bezüglich der Zulässigkeit sind. Sehr strenge Vorgaben können dazu führen, dass es nur zu sehr wenigen Volksentscheiden kommt. Im Extremfall handelt es sich nur um eine theoretische Zulässigkeit von Volksentscheiden.

Zunächst einmal stellt sich die Frage, ob es Ausschlussgegenstände geben soll. Soll es also etwas geben, über das es keinen bundesweiten Volksentscheid geben soll? Wenn die Abstimmung über einen Gegenstand nicht zulässig ist, kann kein Volksbegehren in die Wege geleitet werden. Eng mit den zulässigen Abstimmungsgegenständen ist die Frage nach zulässigen Formen des Volksentscheids verknüpft. Soll nur über Änderungen des Grundgesetzes abgestimmt werden, oder auch über andere Gesetzesänderungen? Soll es obligatorische Referenden oder fakultative Referenden geben oder beide Arten Referenden? Sollen Volksinitiativen möglich sein? Falls Volksinitiativen möglich sein sollen: Wie groß soll die Zahl der Unterschriften sein, die für die Zulassung eines Volksbegehrens gesammelt werden müssen? Und auf welche Weise müssen die Unterschriften gesammelt werden? Ist ein Volksbegehren zugelassen?

Das Verfahren bei bundesweiten Volksentscheiden

Das Verfahren, das zu einem Volksentscheid führt, muss gesetzlich festgeschrieben werden. Zum einen muss festgelegt werden, welche Volksentscheide zulässig sein sollen, zum anderen muss das Verfahren geklärt werden, das zu einem Volksentscheid führt. Damit ist die Frage verbunden, wer den Gesetzentwurf erstellt und wie ein Gesetz auszugestalten ist.i

Eine Möglichkeit ist, dass ein Volksentscheid aus dem Volk heraus initiiert wird. In der Schweiz wird dies als „Volksinitiative“ bezeichnet. Die Volksinitiative ermöglicht es den Schweizer Bürgern, einen ausgearbeiteten Entwurf zur Änderung oder Erweiterung der Verfassung einzureichen. Volksinitiativen zu einfachen Gesetzen sind also nicht vorgesehen. Mehr Demokratie e. V. spricht sich für die Ermöglichung solcher Volksgesetzgebung aus.

Als Verfahren kommt ein zweistufiges oder ein dreistufiges Verfahren infrage. Beide Verfahren werden bereits in den verschiedenen Bundesländern angewendet. Bei einem zweistufigen Aufbau ist das Verfahren in das Volksbegehren (mit vorgelagertem Antrag) und den Volksentscheid untergliedert. Bei dem dreistufigen Aufbau ist dem Volksbegehren die Volksinitiative vorgeschaltet. In diesem Fall bezeichnet der Begriff „Volksinitiative“ ganz konkret den ersten von drei Schritten der Volksgesetzgebung.

Der Antrag auf Volksbegehren bei dem zweistufigen Verfahren wird nur auf Zulässigkeit geprüft. Die Volksinitiative des dreistufigen Verfahrens dagegen wendet sich an den Landtag, der sich mit ihrem Anliegen befassen muss. Damit wird der Landtag frühzeitig eingebunden, was eine größere öffentliche Aufmerksamkeit zur Folge hat.

Lehnt der Landtag das Anliegen der Volksinitiative ab, können die Initiatoren ein Volksbegehren starten. Ist das Volksbegehren erfolgreich, dann kann der Landtag den Gesetzentwurf annehmen oder ablehnen. Nur im Fall der Ablehnung kommt es zum Volksentscheid.

Mehr Demokratie e. V. favorisiert hinsichtlich bundesweiter Volksentscheide das dreistufige Verfahren mit Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid.ii In der Schweiz beinhaltet die Volksinitiative ausgiebige und möglicherweise auch langwierige Verhandlungen zwischen Initiatoren und Parlament, die auf eine Vermeidung eines Volksbegehrens und Volksentscheides zielen. Es gilt also festzuhalten, dass Volksgesetzgebung nicht zu einer Konfrontation zwischen Initiatoren und Parlament bzw. Regierung führen soll. Vielmehr geht es darum, dass Anliegen aus dem Volk gebührend berücksichtigt werden.

Darüber hinaus ist an fakultative und/oder obligatorische Referenden zu denken. Dabei handelt es sich um Referenden, die bei Gesetzesänderungen seitens des Parlamentes erfolgen können oder müssen. Ein fakultatives Referendum erfolgt nur dann, wenn es eine bestimmte Anzahl Bürger verlangt. Es ist zu klären, ob ein Referendum nur bei Grundgesetzänderungen möglich oder verpflichtend sein soll, oder ob auch gewöhnliche Gesetzesänderungen Gegenstand eines Referendums sein sollen. In letzterem Fall ist eine größere Zahl an Referenden zu erwarten. Laut dem Gesetzentwurf von Mehr Demokratie e. V. sollen fakultative Referenden grundsätzlich bei Gesetzesänderungen möglich sein, obligatorische Referenden dagegen auf Grundgesetzänderungen beschränkt sein.

Ausschlussgegenstände

Wenn das Volk der Souverän ist, dann ist eigentlich davon auszugehen, dass das Volk grundsätzlich über alles befinden kann. Aber soll das Volk wirklich über alles befinden können? Soll es beispielsweise darüber befinden dürfen, ob Deutschland in einen Krieg eintritt oder nicht? Oder soll es über die Wiedereinführung der Todesstrafe befinden dürfen? Oder soll es das Asylrecht abschaffen oder einschränken dürfen?

In der Schweiz kann eine Volksinitiative alle Themen umfassen, auch die Steuern und Finanzen betreffende. Ein „Finanztabu“ wie in Deutschland gibt es also nicht. Es gibt lediglich die Einschränkung, dass die Volksinitiative nicht zwingende Bestimmungen des Völkerrechts verletzen darf. Außerdem darf nur eine Materie behandelt werden, d. h. die Verbindung von mehreren Materien zu einem „Paket“ ist nicht zulässig.

Dieses weite Verständnis von Volkssouveränität führt immer wieder dazu, dass schweizerische Volksinitiativen in Deutschland immer wieder mit Argwohn betrachtet werden. Das war beispielsweise bei der eidgenössischen Volksinitiative «Für die Ausschaffung krimineller Ausländer (Ausschaffungsinitiative)» (2010) der Fall. Die Initiative verlangte die Ausweisung von rechtmäßig in der Schweiz anwesenden ausländischen Staatsbürgern, die rechtskräftig für eines aus einer Liste von Delikten verurteilt wurden. Auch die eidgenössische Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“ (2009) gehörte zu den in Deutschland kritisch betrachteten Volksinitiativen. Beide Volksinitiativen wurden angenommen.

Bei den beiden genannten Volksinitiativen ging es um gesellschaftliche Fragen, die bestimmte gesellschaftliche Gruppen bzw. Minderheiten betrafen. Für Volksentscheide ist typisch, dass stets die Mehrheit entscheidet. Folglich gibt es auch stets Minderheiten. Wenn eine gesellschaftliche Gruppe von vornherein eine Minderheit darstellt, besteht die Gefahr, dass ihre Anliegen untergehen und die gesellschaftliche Gruppe schlimmstenfalls diskriminiert wird. Aber beinhaltet die Volkssouveränität nicht das Recht, auch über brisante gesellschaftliche Angelegenheiten entscheiden und über das Wesen der Gesellschaft bestimmen zu dürfen? Dürfen bestimmte Vorstellungen ideologischer Art bezüglich Multikulturalismus und Toleranz die Volkssouveränität begrenzen? Sind ideologische Vorgaben nicht grundsätzlich ein Widerspruch zur Volkssouveränität? Sollte nicht das Volk selbst über die gewünschte Ideologie befinden dürfen? Den Einschränkungen liegt die Angst zugrunde, das Volk könnte bei seinen Entscheidungen gegen Menschenrechte verstoßen. Doch wo soll die Grenze gezogen werden, bis zu der das Volk souverän entscheiden darf? Aufgrund des Prinzips der Volkssouveränität sind in der Schweiz die Hemmungen des Parlaments groß, Volksinitiativen für ungültig zu erklären. Daher wurde beispielsweise auch die Volksinitiative „Gegen den Bau von Minaretten“ trotz Bedenken, dass ein grundsätzliches Bauverbot von Minaretten die Religionsfreiheit wie auch die Religionsneutralität des Staates verletze, zugelassen. Das Bundesgericht hat bezüglich der Gültigkeit von Initiativen keine Kompetenzen.iii

Auch die Volksabstimmung im Vereinigten Königreich über den Brexit ist in Deutschland kritisiert worden. Die Kritik war aber nicht in erster Linie auf (angebliche) Menschenrechtsverletzungen gemünzt. Vielmehr hatte sie – neben der Kritik an der Initiative „von oben“ – den (angeblich) zu weitreichenden und komplexen Abstimmungsgegenstand im Blick. Aber auch diese Kritik ging von gewissen ideologischen Denkmustern aus. Die Befürwortung von EU, offenen Grenzen und Multikulturalismus wurden als Maßstab der Bewertung genommen. Das Ergebnis der Volksabstimmung entsprach nicht den ideologischen Wünschen der Kritiker und wurde somit als „falsch“ gebrandmarkt. Angesichts des „falschen“ Ergebnisses wurde ein Teil der Befürworter von bundesweiten Volksentscheiden zu Gegnern von bundesweiten Volksentscheiden. Aber die Erwartung bestimmter Ergebnisse kann schlechterdings der Maßstab sein, nach dem die Einstellung zu Volksentscheiden ausgerichtet wird. Bei Volksentscheiden ist das Volk der Souverän. Es sollte seine Entscheidungsbefugnis aber in einem gut durchdachten Rahmen und mittels eines gut durchdachten Verfahrens ausüben. Auch muss der Abstimmungsgegenstand klar und überschaubar sein.

Wer Volksabstimmungen befürwortet, weil sie zu bestimmten Ergebnissen führen oder führen sollen, läuft Gefahr, sie für die eigenen Anliegen zu instrumentalisieren. Wer beispielsweise konsequenten Klimaschutz will und meint, die Politiker müssten durch Volksabstimmungen zu mehr Klimaschutz angetrieben werden, darf nicht vergessen, dass sich die Mehrheit des Volkes auch gegen mehr Klimaschutz wenden kann. Wer bundesweite Volksentscheide wünscht, muss sich dieser Möglichkeit bewusst sein, ganz unabhängig von den bisherigen Erfahrungswerten.

Ein eigenes Kapitel stellen Volksinitiativen und Volksbegehren über „haushaltswirksame Gesetze“ dar. Diese sind gemäß den Verfassungen der Bundesländer nicht zulässig. Steuern und Finanzen werden also als eine Materie verstanden, über die nur die Parlamente zu befinden haben. In der Schweiz dagegen können sie durchaus Gegenstand von Volksinitiativen sein. Hier zeigt sich also ein unterschiedliches Verständnis von Volkssouveränität. Grundsätzlich stellt sich die Frage, was „haushaltswirksame Gesetze“ sind. Die meisten Gesetze haben einen Einfluss auf den Haushalt, sei er groß oder klein.

Die Unklarheit kann genutzt werden, um missliebige Anliegen unter Hinweis auf die Haushaltswirksamkeit gleich im Keim zu ersticken. Aber ist es nicht gerade die Aufgabe des Volkes als Souverän, über Geldeinnahmen und -ausgaben zu befinden?

Es bieten sich verschiedene Wege an, wie der sogenannte Finanzvorbehalt geregelt werden kann. So kann festgelegt werden, wie hoch die von einem Gesetz verursachten Ausgabensteigerungen oder -senkungen sein dürfen, damit eine Volksinitiative oder ein Volksbegehren zulässig ist. Es können auch grundsätzlich finanzwirksame Gesetzesvorlagen zugelassen werden, vorausgesetzt die Initiatoren machen bei Ausgabensteigerungen konkrete Kostendeckungsvorschläge. Und schließlich kann man auch locker mit dem Finanzvorbehalt umgehen und den Parlamenten zugestehen, die Volksgesetzgebung notfalls zu korrigieren. Eine solche Korrektur würde aber die Frage der Verbindlichkeit von Volksentscheiden aufwerfen.iv

Unterschriftenquoren

Wenn eine Volksinitiative bzw. ein Volksbegehren rechtlich zulässig ist, dann muss für seine endgültige Zulassung noch eine bestimmte Zahl an Unterschriften gesammelt werden. Die unterzeichnenden Personen unterstützen mit ihrer Unterschrift die Zulassung der Volksinitiative bzw. des Volksbegehrens. Über die Höhe der geforderten Unterschriftenzahl und über die Modalitäten der Unterschriftensammlung kann der Gesetzgeber die Zahl der Volksabstimmungen regulieren. Durch zu hohe Anforderungen kann er Volksabstimmungen praktisch unmöglich machen, auch wenn sie theoretisch möglich sind. Und bei zu niedrigen Anforderungen entwickelt sich die parlamentarische Demokratie zu einer direkten Demokratie.

Es können seitens des Gesetzgebers verschiedene Vorgaben gemacht werden, wie die Unterschriften zu sammeln sind. Die erste Möglichkeit ist die Straßensammlung, bei der die Unterschriften gesammelt werden, indem die Aktiven auf der Straße Passanten ansprechen und um eine Unterschrift für die Volksinitiative bzw. für das Volksbegehren bitten. Wer eine „Unterschrift“ leistet, unterschreibt nicht einfach, sondern füllt ein ganzes Formular mit seinen persönlichen Angaben aus. Nur so kann die Gemeindebehörde die Identität der unterschreibenden Person überprüfen und eine Unterschrift für ungültig erklären, die von einer Person ohne deutsche Staatsangehörigkeit oder von einer minderjährigen Person geleistet wurde. Auch wird unterbunden, dass eine Person für dieselbe Volksinitiative bzw. für dasselbe Volksbegehren mehrfach unterschreibt. Bei der zweiten Möglichkeit wird gefordert, dass die Unterschrift im Rathaus geleistet wird. Das hat den Vorteil, dass Fälschungen unterbunden werden, weil sich die unterschreibende Person ausweisen muss. Allerdings stellt sie für die aktiven Unterschriftensammler eine zusätzliche Hürde dar. Es müssen nämlich nicht nur die Menschen dazu bewegt werden, eine Unterschrift zu leisten, sondern sie müssen auch dazu gebracht werden, für die Unterschrift in das Rathaus zu gehen. Das kann durch sogenannte Rathauslotsen geschehen. Das sind Aktive, die sich in der Nähe des Rathauses postieren und die Passanten dazu animieren, gleich ins Rathaus zu gehen und das Anliegen zu unterstützen. Die dritte Möglichkeit ist die digitale Unterschriftensammlung. Diese Möglichkeit wird in Italien eröffnet. Sie setzt eine technische Umsetzung voraus, die die Prüfung der Identität ermöglicht und mehrfache Unterschriften unterbindet. Auch darf kein technischer Defekt auftreten. Der Vorteil der digitalen Unterschriftensammlung liegt darin, dass die Unterschrift auch daheim oder sonstwo am Rechner geleistet werden kann. Die Unterschrift muss nicht auf der Straße oder im Rathaus geleistet werden und es entfällt auch das Versenden von Unterschriftenformularen. Wer sich genauer über die Volksinitiative bzw. das Volksbegehren informieren will, kann dies in Ruhe tun. Die Initiatoren können von den Informationen aus direkt zur Seite für die Leistung der Unterschrift verlinken.

Wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, dass eine Volksinitiative oder ein Volksbegehren zugelassen wird, hängt auch von der Länge der Frist ab, bis zu der die notwendige Zahl Unterschriften vorliegen muss. Je länger die Frist ist, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit der Zulassung. So zumindest die Theorie. In der Praxis kann jedoch ein größerer Zeitdruck zu einer konzentrierteren Sammlung führen, was die Wahrscheinlichkeit der Zulassung wiederum erhöht.

Beteiligungs- und Zustimmungsquoren

Da bei Volksentscheiden gewöhnlich nur zwischen Ja und Nein gewählt werden kann, sollte man meinen, dass er dann erfolgreich ist, wenn mehr als die Hälfte der abgegebenen Stimmen das Anliegen unterstützt. Das gilt allerdings nur dann, wenn es keine weiteren Regelungen gibt. Ohne weitere Regelungen wäre im Extremfall ein bundesweiter Volksentscheid erfolgreich, wenn bei 60 Mio. Abstimmungsberechtigten zwei Stimmberechtigte für das Anliegen gestimmt haben und ein Stimmberechtigter dagegen. Die einfache Mehrheit wäre erreicht, aber es würde sich sofort die Frage stellen, ob das Abstimmungsergebnis bindend sein kann. Erstens wäre nur eine hauchdünne Mehrheit der abgegebenen Stimmen für das Anliegen, zweitens wäre nur eine verschwindend kleine Minderheit aller Stimmberechtigten für das Anliegen. Weil die überwältigende Mehrheit der Stimmberechtigten nicht abgestimmt hat, könnte daraus geschlossen werden, dass diese entweder unentschlossen oder uninteressiert ist. Folglich könnte man zu dem Schluss kommen, dass bei einem so großen Teil Unentschlossener und/oder Uninteressierter die Entscheidung dem Parlament obliegen muss.

Weitere Regelungen sollen also klarstellen, dass für den Erfolg eines Volksentscheides eine größere Mehrheit erforderlich sein soll als die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Man kann eine größere Mehrheit als die einfache Mehrheit als Voraussetzung für den Erfolg eines Volksentscheides festlegen. Das könnte eine Zweidrittelmehrheit oder eine Dreiviertelmehrheit sein, aber auch ein bestimmter Prozentsatz oberhalb von 50 % Zustimmung wäre möglich. Ebenso kann man aber auch festlegen, dass ein bestimmter Prozentsatz der gesamten Abstimmungsberechtigten für das Anliegen stimmen muss. Dieser Prozentsatz wird als Zustimmungsquorum bezeichnet. Bei einem Zustimmungsquorum von 10 % wäre ein Volksentscheid nur dann erfolgreich, wenn erstens die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für das Anliegen ist und zweitens mindestens 600.000 Stimmberechtigte für das Anliegen gestimmt haben. Statt eines erforderlichen Prozentsatzes kann auch eine erforderliche absolute Zahl Ja-Stimmen festgelegt werden. Dann bleibt das Zustimmungsquorum gleich, auch wenn die Bevölkerungszahl steigt oder sinkt.

Neben dem Zustimmungsquorum ist auch ein Beteiligungsquorum möglich. Das Beteiligungsquorum sagt aus, wie groß die Mindestbeteiligung an einem Volksentscheid sein muss, damit dieser gültig ist. Bei einem Beteiligungsquorum von 10 % wäre bei 60 Mio. Stimmberechtigten ein Volksentscheid nur dann erfolgreich, wenn mindestens 6 Mio. Stimmberechtigte zur Abstimmung gegangen sind und die einfache Mehrheit der abgegebenen Stimmen für das Anliegen ist.

Bei einem hohen Beteiligungsquorum und in abgeschwächtem Maße auch bei einem hohen Zustimmungsquorum besteht die Gefahr, dass die Gegner eines zur Abstimmung stehenden Anliegens zum Abstimmungsboykott aufrufen. Insbesondere wenn nicht sicher ist, dass das Anliegen über eine Mehrheit an Nein-Stimmen zu Fall gebracht werden kann, kann aus Sicht der Gegner ein Abstimmungsboykott sinnvoll sein. Wer nicht zur Abstimmung geht, trägt nicht zum Erreichen des Beteiligungsquorums (und auch nicht des Zustimmungsquorums) bei. Damit ein Abstimmungsboykott zum Erfolg führt, muss gewährleistet sein, dass die Befürworter des zur Abstimmung stehenden Anliegens mit großer Wahrscheinlichkeit alleine das Beteiligungsquorum nicht erreichen.v

Quoren stellen zwar für die Initianten von Volksinitiativen eine Erschwernis dar, tragen jedoch zur Legitimierung von Volksentscheiden bei. Eine Legitimierung ist auch bei Abstimmungen des Bundestags nicht unbedingt gegeben. Der Legitimierung dienen Bestimmungen zur Beschlussfähigkeit. Laut § 45 Abs. 1 seiner Geschäftsordnung ist der Bundestag beschlussfähig, wenn mehr als die Hälfte seiner Mitglieder im Sitzungssaal anwesend ist. Wenn ein Gesetz beschlossen wird, ohne dass mindestens die Hälfte der Abgeordneten anwesend ist (und abstimmt), dann ist der Beschluss ungültig. Und damit ein Gesetzentwurf überhaupt dem Bundestag vorgelegt wird, muss er Hürden überwinden. Insbesondere muss er in dem Gremium, das den Antrag stellt, eine Mehrheit finden. Somit ist durchaus richtig, dass auch eine Volksinitiative mittels einer Mindestzahl an Unterschriften beweisen muss, dass sie in der Bevölkerung einen Mindestrückhalt hat. Ebenso kann – je nach Höhe des Unterschriftenquorums – ein Beteiligungs- und/oder Zustimmungsquorum sinnvoll sein. Bei allen Quoren ist das rechte Maß zu finden.vi

Ländermehr

Damit ein Volksentscheid als erfolgreich bewertet wird, kann auch ein Ländermehr gefordert werden. „Ländermehr“ bedeutet, dass in der Mehrheit der Bundesländer die Ja-Stimmen gegenüber den Nein-Stimmen überwiegen.

Ein solches „Ländermehr“ gibt es in der Schweiz. Dort lautet die Bezeichnung allerdings „Ständemehr“, weil sich die Schweiz nicht aus Bundesländern, sondern aus Kantonen zusammensetzt. Und der historische Begriff für „Kantone“ ist „Stände“.

Die Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ist nicht überall gleich geprägt. Es gibt kirchlich geprägte Gegenden und weniger kirchlich geprägte. Es gibt katholisch geprägte Gegenden und evangelisch geprägte, außerdem mehrheitlich konfessionslose. Es gibt städtisch geprägte Gegenden und ländlich geprägte. Die Zusammensetzung der Berufe der Bevölkerung ist uneinheitlich, womit auch auch der berufliche Erfahrungshorizont uneinheitlich ist. Die Bundesländer spiegeln diese Uneinheitlichkeit wieder. Bayern tickt anders als Bremen und Nordrhein-Westfalen anders als Brandenburg. In letzterem Fall kommt noch ein weiterer Unterschied hinzu, nämlich der zwischen der ehemaligen BRD (Westen) und der ehemaligen DDR (Osten).

Der Gedanke des „Ländermehrs“ geht von dem Gedanken aus, dass nicht nur ausreichend viele Stimmberechtigte einem Anliegen zustimmen müssen, sondern auch ausreichend viele verschieden geprägte Stimmberechtigte. Die Verschiedenheit wird von den Bundesländern repräsentiert.

Das „Ländermehr“ muss errechnet werden. Dabei kann man jedem Bundesland eine Stimme geben. Alle Bundesländer, in denen ein Anliegen die erforderliche Mehrheit bekommen hat, würden als Ja-Stimme gezählt, alle Bundesländer, in denen ein Anliegen nicht die erforderliche Mehrheit bekommen hat, als Nein-Stimme. Bei einer solchen Zählweise würde den kleinen Bundesländern das gleiche Gewicht wie den großen gegeben. Nach dem Vorbild der Schweiz kann man aber auch zwischen kleinen und großen Bundesländern unterscheiden, den kleinen Bundesländern statt einer Stimme nur eine halbe geben. Auch kann die Gewichtung der Bundesländer im Bundesrat übernommen werden.vii

Verbindlichkeit bundesweiter Volksentscheide

Es ist zu klären, ob bundesweite Volksentscheide verbindlich sein sollen oder nicht. Geht man davon aus, dass das Volk der Souverän ist, dann legt sich Verbindlichkeit nahe. Das Parlament und die Regierung können den Volkswillen nicht einfach ignorieren. Allerdings kann das Volk schwerlich alle Auswirkungen von Gesetzen überblicken. Auch den Bundestagsabgeordneten fällt das schwer, jedoch sind ihnen viel bessere Möglichkeiten gegeben, sich zu informieren und die Folgen einzuschätzen. Und sie können sich auf die Sachkenntnis der Behörden stützen. Dies sind Argumente dafür, dass Volksentscheide nur Empfehlungscharakter haben sollen. Mittels eines Volksentscheids zu einer Empfehlung zu kommen, ist jedoch ein sehr aufwändiger Weg. Weniger aufwändig wäre eine demoskopische Umfrage.

Eine Art Mittelweg ist es, wenn Volksentscheide zu Grundgesetzänderungen verbindlich sind, dem Gesetzgeber jedoch freigestellt wird, welche einfachgesetzlichen Regelungen er erlässt. Eine solche Verfahrensweise lag in Irland der Volksabstimmung über den Achten Verfassungszusatz, der das Thema Schwangerschaftsabbruch regelte, zugrunde. Der Volksentscheid bestimmte, dass der Achte Verfassungszusatz gestrichen werden musste. Dem Gesetzgeber oblag es jedoch ausdrücklich, (außerhalb der Verfassung) die gesetzlichen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch zu erlassen.viii

i Damit befasst sich Matthias Rossi, Direkte Demokratie im Detail: Legistische Herausforderungen für Volksinitiativen, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 177-198.

iiVgl. Mehr Demokratie e. V., Gesetzentwurf zur Einführung von Volksinitiative, Volksbegehren und Volksentscheid sowie fakultativen und obligatorischen Referenden auf Bundesebene, Berlin, 2., aktual. Aufl. 2018.

iii Vgl. Wilfried Marxer, Zur Nachahmung empfohlen? Direkte Demokratie in der Schweiz und in Liechtenstein, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 455-456.

iv Zu Ausschlussgegenständen siehe Frank Decker, Der Irrweg der Volksgesetzgebung: Eine Streitschrift, Bonn 2016, 86-89.

v Zu den Quoren siehe Frank Decker, Der Irrweg der Volksgesetzgebung: Eine Streitschrift, Bonn 2016, 89-94.

vi Zur Legitimierung von Volksentscheiden mittels Quoren siehe Hermann K. Heußner, Die Demokratie muss halbdirekt sein – Die Notwendigkeit der Volksgesetzgebung auf Bundesebene, in: H. K. Heußner, A. Pautsch, F. Wittreck [Hrsg.], Direkte Demokratie, FS O. Jung, Stuttgart 2021, 80-83.

vii Zur Mitwirkung der Länder siehe Frank Decker, Der Irrweg der Volksgesetzgebung: Eine Streitschrift, Bonn 2016, 158-160.

viii Zur Verbindlichkeit von Gesetzen, die das Volk beschlossen hat, siehe Frank Decker, Der Irrweg der Volksgesetzgebung: Eine Streitschrift, Bonn 2016, 99-101.