Wenn wir über „geschlechtergerechte Sprache“ reden, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass es verschiedene Arten des Geschlechts gibt. Es ist zwischen dem biologischen, dem grammatischen, dem semantischen und dem sozialen Geschlecht zu unterscheiden.
Das biologische Geschlecht des Menschen wird anhand der primären und sekundären Geschlechtsmerkmale bestimmt. Dabei lassen sich nicht alle Menschen eindeutig als Mann oder Frau bestimmen. Darüber hinaus spielt auch die Geschlechtsidentität für das Selbstverständnis des Menschen eine große Rolle. Die Geschlechtsidentität besagt, ob sich ein Mensch als Mann oder als Frau versteht oder der heterogenen Gruppe der Diversen zuordnet. Die Vielfalt der biologischen Geschlechter und Geschlechtsidentitäten spricht zunächst dafür, die Vielfalt auch in der Sprache sichtbar werden zu lassen.
Von dem biologischen Geschlecht ist das grammatische Geschlecht der Substantive zu unterscheiden. Das grammatische Geschlecht sagt aber nichts über die Männlichkeit oder Weiblichkeit eines Substantivs aus. Auch bei Personen und Tieren stimmt nicht unbedingt das grammatische Geschlecht mit dem biologischen überein. Insofern spiegelt grammatische Geschlechtlichkeit nicht unbedingt die biologische Geschlechtswirklichkeit wieder. Und die biologische Geschlechtswirklichkeit muss sich nicht unbedingt in der grammatischen Geschlechtlichkeit widerspiegeln. Welche Geschlechtsvorstellung uns bei der Nennung einer Person in den Kopf kommt, hängt nicht in erster Linie vom grammatischen Geschlecht ab, sondern vom semantischen. Dieses richtet sich nach dem biologischen Geschlecht.
Außerdem spielt der Zusammenhang bei der Geschlechtszuschreibung eine große Rolle. Das biologische Geschlecht wird mit gesellschaftlichen Erwartungen, Konventionen und Rollenzuschreibungen verbunden, die das soziale Geschlecht ausmachen. Anhand des sozialen Geschlechtes deuten wir den Zusammenhang, in dem eine Person genannt wird. Gesellschaftliche Wandlungen bringen Veränderungen hinsichtlich der Deutung des Zusammenhangs mit sich. Damit kann sich auch die Vorstellung ändern, die wir von dem Geschlecht einer genannten Person haben, unabhängig vom grammatischen Geschlecht.
Das biologische Geschlecht (Sexus)
Wenn ein Mensch geboren wird, dann wird anhand der Genitalien das biologische Geschlecht bestimmt. Die gewohnte Vorstellung ist binär. Gemäß dieser Vorstellung gibt es zwei Geschlechter: „männlich“ und „weiblich“. Und gewöhnlich geht man davon aus, dass das biologische Geschlecht das ganze Leben über gleich bleibt.
Diese Vorstellung ist jedoch zunehmend infrage gestellt worden, mit der Folge, dass im Dezember 2018 eine wichtige Änderung im Personenstandsgesetz in Kraft trat. Seitdem kann es neben den beiden Geschlechtseinträgen „männlich“ und „weiblich“ auch den Eintrag „divers“ geben. Ein Geschlechtseintrag kann auch geändert werden. Mit dieser Änderung wurde ein im Oktober 2017 gefälltes Urteil des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt. Ihr liegt die Erkenntnis zugrunde, dass die Frage des biologischen Geschlechts durchaus diffizil sein kann. Wenn eine Zuweisung zu einem biologischen Geschlecht nicht immer ganz einfach ist, so bedeutet das nicht, dass als Konsequenz unbedingt der Geschlechtseintrag unbedingt „divers“ sein muss. Die Zahl der Geschlechtseinträge „divers“ ist sehr gering. Das kann daran liegen, dass auch Menschen, deren biologisches Geschlecht nicht eindeutig ist, einen Hang dazu haben, sich als Mann oder Frau zu bezeichnen. Das kann aber auch daran liegen, dass sie bei einem Geschlechtseintrag „divers“ im privaten, beruflichen und/oder gesellschaftlichen Leben Nachteile befürchten.
Auch die Sprache folgt weitgehend binären Vorstellungen. Auch wenn es neben männlichen und weiblichen Personen- und Tierbezeichnungen auch sächliche gibt, werden Personen und Tiere meist als männlich oder weiblich angesehen. Dabei ist umstritten, inwieweit die Sprache die Vielfalt an biologischen Geschlechtern widerspiegeln soll. Die Spannbreite reicht von einer Infragestellung einer Vielfalt an biologischen Geschlechtern über eine Orientierung der Sprache an der deutlichen – männlich und weiblich definierten – Mehrheit bis hin zur Forderung, ganz neue sprachliche Wortbildungen und Formulierungen einzuführen.
Verschiedentlich wird bei Personenbezeichnungen ein enger Bezug zwischen grammatischem Geschlecht und biologischem Geschlecht gesehen. Daher rühren Forderungen nach mehr weiblichen Personenbezeichnungen, nach neuen grammatischen Geschlechtern oder einer Beseitigung klarer geschlechtlicher Zuordnung. Dabei ist jedoch zu bedenken, dass grammatisches Geschlecht und biologisches Geschlecht zwei verschiedene Dinge sind.
Das grammatische Geschlecht (Genus)
In der deutschen Sprache haben Substantive ein Geschlecht, nämlich ein grammatisches: Sie können männlich (maskulin), weiblich (feminin) oder sächlich (neutral) sein. Der bestimmte Artikel „der“, „die“ oder „das“ zeigt an, ob ein Substantiv männlich, weiblich oder sächlich ist. „Der Löffel“ ist männlich, „die Gabel“ ist weiblich und „das Messer“ ist sächlich. Artikel, Pronomina und Adjektive richten sich nach dem Geschlecht des Substantivs.
Der lateinische Begriff für „sprachliches Geschlecht“ ist „Genus“. Ursprünglich bedeutete „Genus“ „Art“ oder „Klasse“. Die Substantive sind also einer „Art“ oder „Klasse“ zugewiesen worden. Dabei liegt der Grund für eine Zuweisung gewöhnlich im Dunklen. Wir haben davon auszugehen, dass sie oftmals willkürlich erfolgte. Das Genus eines Substantivs kann sich von Sprache zu unterscheiden. Übereinstimmungen gibt es meist innerhalb einer Sprachfamilie. Ein Beispiel dafür sind „die Sonne“ und „der Mond“. Im Deutschen ist „die Sonne“ weiblich, „der Mond“ männlich. In den romanischen Sprachen ist dagegen „Sonne“ gewöhnlich männlich und „Mond“ weiblich. Selbst wenn es einen Grund dafür geben sollte, weshalb in den romanischen Sprachen „Sonne“ gewöhnlich männlich und „Mond“ weiblich ist, bleibt offen, warum „die Sonne“ im Deutschen weiblich und „der Mond“ männlich ist. Und im Englischen gibt es bei den Substantiven keine Zuweisung zu einem Genus. Sie sind geschlechtsneutral.
Das grammatische Geschlecht sagt nichts über das Substantiv aus. „Der Löffel“ hat nichts Männliches an sich und „die Gabel“ nichts Weibliches. „Das Messer“ ist zwar ein Gegenstand, eine Sache, aber es ist nicht mehr oder weniger ein Gegenstand bzw. eine Sache als „der Löffel“ und „die Gabel“.i
Anders verhält es sich mit substantivierten Adjektiven und Partizipien. „Der Kranke“ (vom Adjektiv „krank“) ist eine Person, und zwar eindeutig ein Junge oder Mann. „Die Kranke“ ist ebenfalls eine Person, aber eindeutig ein Mädchen oder eine Frau. Gleiches gilt für „der Reisende“ (vom Partizip „reisend“). Bei ihm handelt es sich um einen Jungen oder Mann. Bei „der Reisenden“ handelt es sich um ein Mädchen oder um eine Frau. Im Plural sind die männlichen und weiblichen Formen nicht zu unterscheiden. Es handelt sich im Plural um „die Kranken“ und um „die Reisenden“, ohne dass zu erkennen ist, ob sie männlich oder weiblich sind. Auch das grammatische Geschlecht von Substantiven, bei denen es sich nicht um Personen handelt, ist im Plural nicht zu erkennen.
Das semantische Geschlecht
Auch Menschen und Tiere haben ein grammatisches Geschlecht. „Der Vater“ beispielsweise ist männlich, „die Mutter“ weiblich und „das Weib“ sächlich. „Der Hund“ ist männlich, „die Katze“ ist weiblich und „das Pferd“ ist sächlich. Alle diese Menschen und Tiere sind einer grammatischen „Art“ oder „Klasse“ zugeordnet. Aber das grammatische Geschlecht sagt nicht aus, was für ein biologisches Geschlecht ein Mensch oder Tier hat. Welches Geschlecht ein Mensch oder Tier in unserer Vorstellung hat, hängt mit dem biologischen Geschlecht zusammen, das wir mit dem Menschen oder Tier verbinden.
Das semantische Geschlecht richtet sich nach dem biologischen Geschlecht und betrifft die Bedeutungsebene der Sprache. Bei „der Vater“ kommt uns ein Mensch in den Sinn, der männlich ist. Das semantische Merkmal ist „männlich“. Und bei „die Mutter“ kommt uns ein Mensch in den Sinn, der weiblich ist. Das semantische Merkmal ist „weiblich“. Das grammatische und das semantische Geschlecht stimmen in diesen Fällen überein. Anders sieht es mit „das Weib“ aus, das grammatisch sächlich ist. Mit einem „Weib“ verbinden wir keine Sache, keinen Gegenstand, sondern einen Menschen, der weiblich ist. Das semantische Merkmal von „das Weib“ ist also weiblich.
Ähnlich sieht es bei den Tieren aus. „Der Hund“ ist zunächst einmal eine Gattung. Das grammatische Geschlecht ist zwar männlich, aber das semantische Merkmal ist unbestimmt. Bei einem „Hund“ kann es sich gleichermaßen um einen männlichen wie einen weiblichen Hund handeln. Wollen wir deutlich machen, dass wir von einem männlichen Hund sprechen, dann benutzen wir das Substantiv „Rüde“. Der Rüde ist biologisch stets männlich und somit ist auch das semantische Merkmal männlich. „Die Hündin“ dagegen ist biologisch stets weiblich und somit ist auch das semantische Merkmal weiblich. Ähnlich sieht es bei „die Katze“ aus. „Die Katze“ ist die Gattung. Eine „Katze“ kann biologisch „männlich“ oder „weiblich“ sein. Dass eher eine biologisch weibliche Katze in den Sinn kommt, hängt damit zusammen, dass eine biologisch weibliche Katze gewöhnlich „Katze“ und nicht „Kätzin“ genannt wird. Für die biologisch männliche Katze dagegen gibt es einen eigenen Begriff: „Kater“. Bei dem „Pferd“ dagegen ist es wieder wie beim „Hund“. „Das Pferd“ ist eine Gattung. Das grammatische Geschlecht ist zwar sächlich, aber das biologische Geschlecht kann männlich oder weiblich sein. Das semantische Geschlecht ist somit unbestimmt. Wollen wir deutlich machen, dass ein Pferd biologisch männlich ist, dann benutzen wir den Begriff „Hengst“. Das semantische Merkmal von „der Hengst“ ist männlich. Ein weibliches Pferd dagegen ist eine „Stute“.
Das soziale Geschlecht (Gender)
Das soziale Geschlecht, englisch „Gender“, ist keine sprachliche, sondern eine gesellschaftliche und kulturelle Kategorie. Das soziale Geschlecht meint die Gesamtheit
von Erwartungen, Konventionen und Rollenzuschreibungen, mit denen das biologische
Geschlecht in der Gesellschaft verbunden wird. Es ist zugleich auch das durch unsere Erziehung erworbene Selbstverständnis über unsere Geschlechtsidentität.ii
Verdeutlichen wir das an der Personenbezeichnung „Fußballfan“. Das grammatische Geschlecht ist männlich. Ob es sich um Männer oder um Frauen handelt, ist unklar. Nun spielen traditionell mehr Männer als Frauen Fußball. Fußball ist ein harter Sport, der vielfach zu Verletzungen führt. Die Härte wird nicht mit Frauen assoziiert. Entsprechend sehen sich auch mehr Männer als Frauen Fußball im Stadion oder vor dem Fernseher an. Entsprechend hat sich das Stereotyp gebildet, dass ein „Fußballfan“ ein Junge oder Mann ist. Folglich ist das soziale Geschlecht männlich. Das wird verstärkt, wenn sich im Zusammenhang Formulierungen wie „grölen“, „Bier“ oder „Ausschreitungen“ finden, die mit Männern in Verbindung gebracht werden. Ist aber im Zusammenhang von „kichern“ oder „Handtaschen“ die Rede, denkt man bei „Fußballfan“ eher an Mädchen oder Frauen. Den Mädchen und Frauen, nicht den Jungen und Männern, wird zugeschrieben, dass sie kichern und Handtaschen tragen.
Rollenzuschreibungen und Verhaltenserwartungen sind zwar recht beständig, aber keinesfalls unveränderlich. Sobald Frauen im Fußball Erfolge erzielen, spielen mehr Mädchen und Frauen Fußball. Und es schauen sich auch mehr Mädchen und Frauen Fußball an. Damit verändern sich auch die Stereotype. Das soziale Geschlecht der Personenbezeichnung „Fußballfan“ ist dann nicht mehr so eindeutig männlich. Rollenzuschreibungen und Verhaltenserwartungen gründen keinesfalls nur auf Vorurteilen, sondern auch auf Erfahrungen und speziell auch auf Vorbildern. Vorbilder können Rollenzuschreibungen, Verhaltenserwartungen und auch das eigene Verhalten erheblich prägen. Das erklärt auch die Diskussion um die Frage, ob Gender biologisch bestimmt und/oder erlernt ist.iii
iZur Unterscheidung von Genus und Sexus siehe Tomas Kubelik, Genug gegendert! Eine Kritik der feministischen Sprache, Halle 2013, 51-58; Fabian Payr, Von Menschen und Mensch*innen. 20 gute Gründe, mit dem Gendern aufzuhören, Wiesbaden 2021, 45-51.
iiLann Hornscheidt, Ja’n Sammla, Wie schreibe ich divers? Wie spreche ich gendergerecht? Ein Praxishandbuch zu Gender und Sprache, Hiddensee 2021, 18-21 problematisiert Gender.
iiiAusführlich zu den verschiedenen Arten des Geschlechts siehe Gabriele Diewald, Anja Steinhauer, Richtig gendern. Wie Sie angemessen und verständlich schreiben, Berlin 2017, 14-30; vgl. Bundesverband der Kommunikatoren e. V. [Hrsg.], Kompendium Gendersensible Sprache. Strategien zum fairen Formulieren, Berlin 2020, 6.