Seitens der Tierschützerinnen und Tierschützer werden die konstant hohen Tierversuchszahlen bemängelt. Ein genauer Blick auf die Zahlen offenbart, dass Alternativmethoden zwar die Tierversuche zu reduzieren vermögen, die zunehmende Verwendung von genetisch veränderten Tieren insbesondere in der Grundlagenforschung einer sinkenden Tendenz jedoch zuwiderläuft. Zudem ist die Statistik nicht lückenlos und frei von Ungereimtheiten.
Zahl und Verwendungszwecke
Die Daten über die Verwendung von Versuchstieren werden vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) veröffentlicht und der Europäischen Kommission übermittelt.
In Deutschland wurden 2019 etwa 2,20 Millionen Wirbeltiere und Kopffüßer in Tierversuchen nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes eingesetzt. Bei etwa 75 % der bei Tierversuchen eingesetzten Tiere handelte es sich um Nagetiere, vor allem Mäuse und Ratten, wobei Mäuse etwa 65 % der eingesetzten Tiere ausmachten. Etwa 16 % der Tiere waren Fische, rund 4 % Kaninchen und etwa 2 % Vögel. Demnach wurden 2019 weniger Mäuse und Ratten sowie deutlich mehr Fische im Rahmen von Versuchen nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes im Vergleich zum Vorjahr eingesetzt. Ein Anstieg lässt sich auch bei der Verwendung von Kaninchen und Vögeln feststellen.
Im Jahr 2019 wurden in Tierversuchen nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes 3276 Affen und Halbaffen verwendet. Die Zahl dieser Tiere ist damit im Vergleich zum Vorjahr (3288) weitgehend gleichgeblieben. Menschenaffen wurden in Deutschland zuletzt 1991 für wissenschaftliche Zwecke verwendet.
Hunde und Katzen, die nur einen verschwindend geringen Anteil an der Gesamtzahl der Tierversuche ausmachen, kamen insbesondere zur Erforschung von Tierkrankheiten sowie für die gesetzlich vorgeschriebene Toxizitäts- und Unbedenklichkeitsprüfung von Tier- und Humanarzneimitteln zum Einsatz.
Im Hinblick auf den Schweregrad der Versuche lässt sich feststellen, dass die Belastung in Tierversuchen nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes – nach Einschätzung derjenigen, die die Versuche durchführten – vorwiegend gering war (etwa 65 %), während der Anteil an Tierversuchen mit mittlerer oder schwerer Belastung bei etwa 24 beziehungsweise 5 % lag. Der Anteil an Tierversuchen, die vollständig unter Vollnarkose durchgeführt wurden, aus der die Tiere nicht mehr erwacht sind, lag bei etwa 6 %. Im Vergleich zum Vorjahr lässt sich damit insbesondere im Bereich der geringen Belastungen ein Anstieg um etwa 4 % feststellen. Im Hinblick auf Versuche mit schweren Belastungen ist ein Rückgang um etwa 1 % zu erkennen.
Etwa 955.000 Tiere der in Tierversuchen nach § 7 Absatz 2 des Tierschutzgesetzes verwendeten Tiere waren genetisch verändert. Der Anteil an diesen sogenannten transgenen Tieren lag damit bei etwa 43 % und ist damit im Vergleich zum Vorjahr leicht gesunken (2018: 45 %). Zum Einsatz kamen hier insbesondere transgene Mäuse (etwa 89 %) und Fische (etwa 10 %).
Rund 47 % der in Tierversuchen verwendeten Tiere dienten der Grundlagenforschung und etwa 13 % der Erforschung von Erkrankungen von Menschen und Tieren. Etwa 22 % der Tiere wurden bei der Herstellung oder Qualitätskontrolle von medizinischen Produkten oder für toxikologische Sicherheitsprüfungen verwendet. Rund 18 % wurden für sonstige Zwecke, wie zum Beispiel zur Aus- oder Weiterbildung oder für die Zucht von genetisch veränderten Tieren benötigt.
In der Grundlagenforschung spielten auch im Jahr 2019 insbesondere die Untersuchungen im Bereich des Nervensystems und des Immunsystems eine Rolle. Ein Schwerpunkt bei der Erforschung von Erkrankungen von Menschen und Tieren lag im Jahr 2019 auf dem Bereich der Krebserkrankungen des Menschen.
Zusätzlich zu den etwa 2,20 Millionen für Tierversuche eingesetzten Tieren wurden knapp 700.000 Tiere für wissenschaftliche Zwecke getötet, ohne dass an ihnen zuvor Eingriffe oder Behandlungen vorgenommen wurden – beispielsweise um Organe oder Zellmaterial dieser Tiere zu wissenschaftlichen Zwecken zu verwenden.
Die Ärzte gegen Tierversuche e. V. weisen auf eine Dunkelziffer hin, die es neben den erfassten Zahlen gebe. So würden Versuchstiere üblicherweise nicht nach Bedarf gezüchtet, sondern im Überschuss, um jederzeit eine gewisse Anzahl von Tieren der einzelnen Arten, Alters- und Gewichtsklassen „vorrätig“ zu haben. Tiere, die schließlich doch nicht für Versuche Verwendung finden, würden getötet. Auch würden manche Tiere schon vor dem eigentlichen Versuch bei Haltung und Transport sterben. Sehr lückenhaft sei die statistische Erfassung auch im Bereich der gentechnisch veränderten Tiere. Die gentechnischen Eingriffe hätten das Ziel, dass die Forschenden mit Tieren arbeiten können, die genau die gewünschten Eigenschaften aufweisen. In einer Vielzahl der Fälle – geschätzt 90 bis 99 % – sei die genetische Veränderung aber nicht erfolgreich. Insekten und Krebse würden überhaupt nicht gezählt.i
Bei den Versuchstierzahlen der Bundesländer im Vergleich liegt wie schon im Vorjahr 2014 Baden-Württemberg bei der Verwendung von Tieren für wissenschaftliche Zwecke mit 461538 Tieren an der Spitze, gefolgt von Nordrhein-Westfalen mit 432006 Tieren und Bayern mit 423129 Tieren.ii
Trends
Aufgrund von Änderungen bei der Zählweise von Versuchstieren sind die Zahlen von 2014 und 2015 nur bedingt mit den Zahlen der Jahre vor 2013 vergleichbar. Bis einschließlich 2013 wurden diejenigen Tiere erfasst, mit denen ein Versuch begonnen wurde, während die Tiere seit 2014 erst dann gemeldet werden, wenn der Versuch abgeschlossen ist. Auch werden seit 2014 Fischlarven mitgezählt. Und schließlich gehen alle durch eine genetische Veränderung belasteten Tiere in die Statistik ein, unabhängig davon, ob ein Tierversuch durchgeführt wurde oder nicht. Dagegen werden Versuche, die als nicht belastend eingestuft werden – z. B. ein Verhaltensexperiment -, nicht mehr in der Statistik erfasst. Auch ist die Meldepflicht für kleine Gewebeentnahmen (Schwanzspitzenbiopsien), um das Erbgut der Tiere zu untersuchen, weggefallen. Angesichts dieser Änderungen beschränkt sich der folgende grobe Überblick über die Trends auf die Jahre nach 2014.
Die Gesamtzahl der für wissenschaftliche Versuchszwecke verwendeten und getöteten Tiere unterliegt über die Jahre hinweg gesehen nur geringen Schwankungen. Seit 2014 liegen sie beständig bei über 2,79 Millionen.iii
Als Gründe für dieses weiterhin hohe Niveau sind insbesondere der Ausbau des Forschungsstandorts Deutschlands und der damit verbundene steigende Einsatz neuer Technologien und transgener Tiermodelle im Versuchstierbereich zu berücksichtigen. Zu beachten ist dabei aber auch, dass viele Alternativmethoden zum Tierversuch ebenfalls nicht ohne den Einsatz von Tieren auskommen (z. B. Verwendung tierischer Zellen oder Gewebe für die Herstellung von Zellkulturen für in-vitro-Versuche) und dass insofern die Entwicklung und Anwendung von Alternativmethoden nicht zwangsläufig zum Absinken der Zahl verwendeter Tiere führt.iv Zum Anstieg der Zahl der Tierversuche trägt auch die Entwicklung der Corona-Impfstoffe bei.
In den letzten Jahren hat sich der Anteil der Tierversuche für den Arten- und Umweltschutz stark vergrößert (2018: 0,8 %). Diese Tierversuche betrafen insbesondere Fische (z. B. im Hinblick von Wasserkraftanlagen). Bei den regulatorischen (= gesetzlich vorgeschriebenen) Tierversuchen für Qualitätskontrollen, Giftigkeits- und Unbedenklichkeitsprüfungen ist aufgrund der zunehmenden Verfügbarkeit von Alternativmethoden in diesem Bereich ein stetiger Rückgang festzustellen.v
i Vgl. https://www.mdc-berlin.de/44551711/de/news/archive/2015/20150519-meldung_der_abteilung_kommunikation_; http://www.dpz.eu/de/abteilung/ueber-tierversuche/zahlen-und-fakten/tierversuchszahlen-in-deutschland.html; https://www.aerzte-gegen-tierversuche.de/de/infos/statistiken/22-tierversuchsstatistik (jeweils 19.05.2017, letztere beide inzwischen entfernt).
ii Vgl. Pressemeldung des Deutschen Tierschutzbundes e. V. vom 26.01.2017. Die Zahlen habe das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) laut Pressemitteilung bis dahin nicht veröffentlicht. Der Deutsche Tierschutzbund e. V. habe sie unter Berufung auf das Informationsfreiheitsgesetz dort angefordert. In einer Pressemeldung vom 07.02.2017 weist der Deutsche Tierschutzbund e. V. auf weitere Ungereimtheiten hin: So seien 2014, im Gegensatz zu 2015, solche Tiere nicht in der Gesamtzahl berücksichtigt, die wiederholt in Versuchen verwendet wurden – immerhin fast 50.000 Tiere. Auch bei anderen Tiergruppen, wie gentechnisch veränderten Tieren, gebe es weiterhin Ungereimtheiten, so dass ein Vergleich der Zahlen von 2014 und 2015 weiterhin nicht möglich sei.
iii Vgl. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/205736/umfrage/anzahl-der-fuer-tierversuche-verwendeten-tiere-seit-2000/#professional (20.11.2021), Fact Sheet Versuchstiere in der Bundesrepublik Deutschland 2019 (https://www.tierversuche-verstehen.de/wp-content/uploads/2020/12/Versuchstierzahlen2019_BundeslaenderFactsheet_201229.pdf, 20.11.2021).
iv Vgl. Bundestags-Drucksache 19/20238.
v Fact Sheet Versuchstiere in der Bundesrepublik Deutschland 2019 (https://www.tierversuche-verstehen.de/wp-content/uploads/2020/12/Versuchstierzahlen2019_BundeslaenderFactsheet_201229.pdf, 20.11.2021).