Die Urteile des Bundesverfassungsgerichtes von 1975 und 1993 verpflichten den Gesetzgeber zum Schutz der Ungeborenen. Dabei ist ihm freigestellt, auf welchem Wege er den Schutz bewerkstelligt. Juristisch umstritten ist, ob und inwieweit auf das Strafrecht zurückgegriffen werden soll. Der Schutz kann auch durch Beratung und zivilrechtliche Bestimmungen erfolgen, außerdem durch sozialpolitische Maßnahmen. Gegenwärtig ist der Schutz der Ungeborenen im Zivilrecht schwach ausgeprägt. Das ungeborene Kind hat zwar eine Teilrechtsfähigkeit inne, allerdings stehen seine Rechte hinter den Rechten der Mutter zurück. Es wäre also eine Verlagerung des Gewichtes auf die Rechte des ungeborenen Kindes nötig – es sei denn, das Bundesverfassungsgericht sieht ausreichenden Schutz durch Beratungspflicht und verbesserte sozialpolitische Maßnahmen gegeben. Voraussetzung dafür wäre eine liberalere Sicht des Bundesverfassungsgerichtes im Hinblick auf die Möglichkeiten des Schutzes der Ungeborenen. Eine Legalisierung der Abtreibung wäre in dem Fall möglich, wenn sie von verbesserten sozialpolitischen Maßnahmen flankiert wird. Eine Legalisierung ohne solche Maßnahmen bedürfte einen biologischen und medizinethischen Nachweis, dass das Ungeborene kein Mensch mit eigenem Lebensrecht gemäß Art. 2 Abs. 2 GG (= Grundgesetz) ist.

Beginn der Rechtsfähigkeit

Gemäß § 1 BGB (= Bürgerliches Gesetzbuch) beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt. Folglich kommt dem ungeborenen Kind keine volle Rechtsfähigkeit zu.

Teilrechtsfähigkeit des ungeborenen Kindes

Dennoch ist auch das ungeborene Kind nicht völlig rechtlos. Es ist durch eine Reihe von Sondervorschriften zu seinem Gunsten geschützt. Diese betreffen die Erbfähigkeit (§ 1923 Abs. 2; § 2108 Abs. 1; § 2178 BGB), die Fürsorge (§ 1912 Abs. 1 S. 1 BGB), die Vormundschaft (§ 1777 Abs. 2 BGB), den Ersatzanspruch bei Tötung einer unterhaltspflichtigen Person (§ 844 Abs. 2 S. 2 BGB), den Haftungsanspruch wegen Gesundheitsverletzung (§ 823 Abs. 1) und die Leistung nach Todesfall (§ 331 Abs. 2 BGB). Bei den Sondervorschriften spielt das Entwicklungsstadium des Kindes keine Rolle; es wird nur vorausgesetzt, dass es zur Geburt kommt. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Gerichtsentscheidungen zugunsten des ungeborenen Kindes. Dem ungeborenen Kind kommt also eine – wie auch immer geartete – beschränkte Rechtsfähigkeit, eine Teilrechtsfähigkeit zu. Damit ist es deutlich von einem Organ der Mutter unterschieden.i

Trotz der Teilrechtsfähigkeit des ungeborenen Kindes ist sein zivilrechtlicher Schutz im Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch nur gering ausgeprägt. Einzelne Paragraphen lassen sich zu dessen Schutz aber doch heranziehen, bedürfen aber entsprechender Deutung.

Gerichtliche Maßnahmen bei Gefährdung des Kindeswohls

Die Mutter kann nicht uneingeschränkt über ein ungeborenes Kind verfügen. Dies geht aus den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und der daraus folgenden Gesetzgebung im Hinblick auf den Schwangerschaftsabbruch hervor. Dieser Grundsatz ist auch an das Zivilrecht anzulegen, insbesondere auch dann, wenn die strafrechtlichen Bestimmungen durch zivilrechtliche ersetzt werden sollen.

Gemäß § 1664 haben die Eltern dem Kind gegenüber eine (beschränkte) Fürsorgepflicht. In § 1666 Abs. 1 heißt es: „Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind.“ Nun bezieht sich diese Bestimmung aber auf das geborene Kind. Dennoch ist ein Bezug auf das ungeborene Kind nicht ausgeschlossen. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) stehen schon dem ungeborenen Kind Haftungsansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB wegen einer Gesundheitsverletzung im pränatalen Stadium zu. Die Bestimmung „Wer vorsätzlich oder fahrlässig das Leben, den Körper, die Gesundheit, die Freiheit, das Eigentum oder ein sonstiges Recht eines anderen widerrechtlich verletzt, ist dem anderen zum Ersatz des daraus entstehenden Schadens verpflichtet“ kann also auch auf das ungeborene Kind bezogen werden. Dies gilt auch für Fälle, in denen Dritte, insbesondere auch Ärzte, die Gesundheit des Embryos und infolgedessen auch des geborenen Kindes geschädigt haben. Insofern wäre § 1666 Abs. 1 auch auf das ungeborene Kind zu beziehen. Das Vormundschaftsgericht wäre also berechtigt, Maßnahmen gegen einen geplanten Schwangerschaftsabbruch zu unternehmen, wenn dieser nicht die Voraussetzungen der Straflosigkeit erfüllt.

Allerdings sind die Grundrechte des ungeborenen Kindes und der Mutter abzuwägen. Der § 1666 BGB kann zwar für das gerichtliche Einschreiten bei illegalen Schwangerschaftsabbrüchen in Erwägung gezogen werden, allerdings ist zu bedenken, dass im Bürgerlichen Gesetzbuch den Rechten der Mutter gegenüber den Rechten des ungeborenen Kindes Vorrang gegeben wird.

Das Bürgerliche Gesetzbuch verwendet die Bezeichnung „Kind“ gewöhnlich für das geborene Kind. Wenn von der „Geburt des Kindes“ die Rede ist, dann ist das aber wohl nicht so zu verstehen, als werde das Ungeborene erst mit der Geburt zum Kind. Aus einzelnen Bestimmungen, insbesondere § 1912 Abs. 2 BGB und § 1615n BGB, lässt sich erschließen, dass auch das Ungeborene als Kind verstanden wird.ii

Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der schwangeren Person

Selbstbestimmte Schwangerschaftsabbrüche seien laut Deutscher Juristinnenbund e. V. außerhalb des Strafgesetzbuchs zu regeln. Angezeigt erscheine eine Fristenregelung im Schwangerschaftskonfliktgesetz (SchKG). Danach sollten Schwangerschaftsabbrüche bis zu einem bestimmten Zeitpunkt ohne Indikation zulässig sein. Die derzeit in § 218a Abs. 1 StGB bestehende Frist, die Abbrüche bis zum Ablauf der 12. Woche seit Empfängnis (d. h. dem Ablauf der 14. Schwangerschaftswoche nach letzter Periode) zulasse, solle deutlich ausgedehnt werden. Der aus der kurzen Frist resultierende Zeitdruck beeinträchtige das Recht auf reproduktive Selbstbestimmung ungewollt schwangerer Personen in einem nicht zu rechtfertigenden Maße, zumal eine Schwangerschaft häufig nicht unmittelbar bemerkt werde. Allein der „Schwangerschaftsabbruch gegen den Willen der schwangeren Person“ solle im Strafgesetzbuch verortet werden, und zwar als neuer Straftatbestand z. B. in § 226b StGB Der vorsätzliche Abbruch einer Schwangerschaft gegen oder ohne den Willen der schwangeren Person solle als Verbrechen ausgestaltet werden, der fahrlässige Abbruch als Vergehen.iii

Ein gegen den Willen einer Frau gewaltsam durchgeführter Schwangerschaftsabbruch ist bereits jetzt (Stand März 2024) strafbar und wird gemäß § 218 Abs. 2 Nr. 1 und 2 als besonders schwerer Fall des Schwangerschaftsabbruchs gewertet. Ebenfalls ist ein durch Dritte mit psychischem oder sozialem Druck oder Gewalt herbeigeführter Schwangerschaftsabbruch jenseits einer eigenen Initiative der schwangeren Frau nach § 240 Abs. 4 Nr. 1 StGB bereits jetzt strafbar.

i Zur Position des Ungeborenen als Rechtssubjekt des Zivilrechtes siehe Hans Hofmann, Das Lebensrecht des Nasciturus. Zivilrechtliche Aspekte der Abtreibung, Diss., Bonn 1992, 60-94. Dass auch dem bereits gezeugten, aber noch nicht geborenen Kind (Nasciturus) im Zivilrecht Rechte zugestanden werden, macht auch Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Der Schutz des ungeborenen Lebens in Deutschland, Sachstand, WD 7 – 3000 – 256/18 deutlich. Einen Überblick über die Diskussion, ob das Ungeborene voll rechtsfähig, erst mit der Geburt rechtsfähig oder (bedingt) teilrechtsfähig ist, siehe Franziska Mürmann, Der zivilrechtliche Schutz des ungeborenen Kindes vor seiner Mutter (Schriften zum Internationalen Privatrecht und zur Rechtsvergleichung 49), Osnabrück 2022, 93-104, die selbst von einer Teilrechtsfähigkeit ausgeht.

ii Zur Abwendung des Schwangerschaftsabbruches durch die §§ 1666, 1628 und 1912 siehe Hofmann, 95-142. Speziell mit den §§ 1666 und 1664 befasst sich Mürmann, 51-91.149-165, die die Meinung vertritt, dass nach dem geltenden Zivilrecht keine Möglichkeiten bestünden, das ungeborene Kind in effektiver Weise vor schädigendem Verhalten seiner Mutter zu schützen. Der Schutz des ungeborenen Kindes sei ohne die Mutter nicht möglich. Höchstes Ziel aller staatlichen Stellen müsse es daher sein, die Mutter zu verantwortungsvollem Verhalten zu bewegen. Dies sei jedoch nur möglich, wenn sie das Kind nicht als rechtlichen Gegner und Verursacher zahlreicher Beschränkungen sieht.

iii Vgl. Deutscher Juristinnenbund e. V., Stellungnahme: Neues Regelungsmodell für den Schwangerschaftsabbruch; ähnlich: Der Paritätische Gesamtverband, Paritätische Positionierung zur rechtlichen Verortung des Schwangerschaftsabbruchs außerhalb des Strafgesetzbuchs.